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Fimfestival: Der schüttere Löwe

Ein Gipfeltreffen alter Meister: Zum Finale des 75. Filmfestivals von Venedig.

An ihren Trailern sollt ihr sie erkennen! Während Cannes stets mit seinen ins Sternenzelt führenden Stufen entzückt und Berlin mit einem Funkelfeuerwerk erwärmt, nervt Venedig seit Jahren mit einem lärmenden Animationsfilmchen. Darin fläzt sich ein venezianischer Löwe vor einem Fernseher mit schrecklichem Programm und langt schließlich mit der Pranke in die Röhre. Höhepunkt der TV-Darbietung: Ein tristes Runzel-Ich zieht sich die hängenden Mundwinkel nach oben, und dazu gibt’s eine Sitcom-Lachsacksalve vom Band.

Derlei kosmetische Gymnastik betreiben auch die Kommentatoren gern, wenn das Filmfest am Lido seinem Ende entgegengeht. Das Programm war, besonders in der zweiten Hälfte, alles andere als berauschend, aber zumindest die Stimmung wird ins Spätsommerliche hochgeschrieben. Als Beleg dafür dienen dann etwa die Stars, von George Clooney bis Jude Law, von Brad Pitt bis Johnny Depp, die die Mädchen-Hundertschaften am roten Teppich zu spitzen Schreien animierten. Dass diese Fans wohl kaum in jener Autorenfilmwelt zu Hause sind, über die etwa die diesjährigen Wettbewerbsjuroren Zhang Yimou, Catherine Breillat, Jane Campion, Emanuele Crialese, Alejandro Gonzalez Inarritú, Ferzan Ozpetek und Paul Verhoeven zu entscheiden haben: Wen kümmert’s?

Schauen daher auch wir zuerst aufs Positive. Das Festival legte, mit dem Blick auf Irak, betont politisch los – und bot, mit Brian De Palmas brillanter Fake-Doku „Redacted“ und Paul Haggis’ Heimatfront-Melodram „In the Valley of Elah“, zwei ästhetisch erhellend komplementäre Beispiele dafür, wie das amerikanische Kino auf seine Weise wirksam gegen diesen Krieg kämpft. De Palma schärft das Bewusstsein für die gefilterten Bilder, die uns aus dem Irak erreichen, Haggis schärft das Gefühl für die individuellen Katastrophen an der Heimatfront. Dass Festivalchef Marco Müller dann noch Jonathan Demmes Dokumentation „Man From Plains“ über den unermüdlich für den Frieden zwischen Israel und den Palästinensern kämpfenden Jimmy Carter hinzufügte, zeugt von programmatischer Konsequenz.

Anders als der Klimaschützer Al Gore zuletzt in Cannes war der 82-jährige Jimmy Carter, zweite Ikone des guten – präsidentialen – Amerika, zwar nicht live am Lido präsent, fügt aber der reifen Heldengalerie dieses Festivals einen weiteren markanten Namen hinzu. Ob vor oder hinter der Kamera, die Jubiläumsausgabe des ältesten Filmfestivals der Welt war vor allem ein Auflauf alter Männer. Zum 75. Gründungsjahr paradierten in starken Rollen nicht nur Recken wie Michael Caine (in Kenneth Branaghs „Sleuth“) oder „Valley of Elah“-Hauptdarsteller Tommy Lee Jones, auch die gefühlte Mehrheit der Regisseure war deutlich jenseits der Sechzig oder gar Siebzig. Die gefühlte Mehrheit ihrer am Lido präsentierten Werke wiederum weckte im Betrachter mitunter den kunstbanausischen Wunsch, auch für Filmregisseure die Rente ab 67 einzuführen.

Hatten schon zum Start Ken Loach mit seinem zwar respektablen Sozialdrama „It’s a Free World“, Claude Chabrol mit seiner belanglosen Altmännerfantasie „La fille coupée en deux“ und vor allem Woody Allen mit dem grotesk missratenen „Cassandra’s Dream“ die großen Erwartungen enttäuscht, machte zuletzt ein weiteres Trio reiferer Herren im Wettbewerb zumindest Löwen-Ansprüche geltend: der Russe Nikita Michalkow (61), der Brite Peter Greenaway (65) und der Ägypter Youssef Chahine (81). Immerhin Michalkow und Greenaway rangelten in den italienischen Medien unversehens um die pole position vor der Preisvergabe – was wohl vor allem der sportlichen Notwendigkeit geschuldet war, dem tagelang allein als Favoriten genannten Franzosen Abdel Kechiche („La graine et le mulet“) ein paar Namen hinzuzufügen.

Peter Greenaways „Nightwatching“ gehört in die auf diesem Festival besonders großzügig geöffnete Kiste puren Fan-Kinos: Vor allem examinierte Kunsthistoriker dürften sich an Greenaways überwiegend in einem großen (Theater-)Raum nachgestellten Lebens- und Bilderszenen Rembrandts erfreuen, die in der kunstweltbewegenden Frage gipfeln, ob auf Rembrandts „Nachtwache“ von 1642 auch der Mörder eines Amsterdamer Bürgerwehrmannes ins Bild gesetzt worden sein könnte. Andere Wegbegleiter des Greenaway’schen Werks registrierten schlicht erleichtert seinen Verzicht auf digital-egomanische Spielereien, die seine „Tulse Luper“-Trilogie ungenießbar gemacht hatte, sowie den schönen Sinn fürs Rembrandt’sche clair-obscur – und sei es, um sich so vom leeren Stroh der theatralischen Dialoge abzulenken.

Eine virtuose, überwiegend monologische Orgie ist „12“, Nikita Michalkows Remake des Welterfolgs „Die zwölf Geschworenen“, mit dem Sidney Lumet vor 50 Jahren den Goldenen Bären holte. Michalkow verlegt das Gerichtsdrama um einen möglichen Vatermord in den Tschetschenien-Krieg: Ein tschetschenischer Jugendlicher soll seinen bösen russischen Stiefvater umgebracht haben und nun lebenslänglich dafür büßen.

Wie die Geschworenen nach und nach von ihrer fast einhelligen Schuldvermutung abrücken, ist – in einer zum Betratungssaal umfunktionierten Turnhalle – mal packend, mal bloß pompös in einem Zweieinhalbstundenfilm umgesetzt, der die sensiblen Themen Antisemitismus und Moskauer Kriegsschuld nicht ausspart. Und doch: Das Renommiergehabe eines auf die große Bühne zurückgekehrten Regisseurs, dessen Ruhm längst altert, ist in jeder Einstellung zu spüren; besonders in der edelmütigen Rolle, die der Mit-Geschworene Michalkow sich selber für den Schluss aufbewahrt.

„Chaos“ hat Youssef Chahine, der einzige ägyptische Filmregisseur von Weltruhm, seinen jüngsten Film genannt – und tatsächlich ist das Durcheinander darin von beträchtlich levantinischer Energie. Eine flammende Anklage gegen Polizeiwillkür und Korruption mag ihm in der Personifizierung des Polizeichefs Hatem (Khaled Saleh) vorgeschwebt haben, der Demonstranten auf eigene Rechnung festhält und foltert und die halbe Stadt zu Schmiergeldzahlungen zwingt. Viel inniger aber und im Stil einer Telenovela mit mal besorgten, mal entsetzten Mamas, mit unmoralischen Bettgenossinnen und herzensguten Zukunftsbräuten malt Chahine die Liebestollheit des Polizisten für eine junge Nachbarin aus - und entwertet so seine politisch gemeinte Geschichte. Womit er, im Breitwandformat und mit Tausenden von Statisten, letztlich ebenso verharmlosend agiert wie die Italiener Paolo Franchi, Vincenzo Marra und Andrea Porporati im Wettbewerb, die ihre gesellschaftskritischen Ansätze in der Sentimentalität stereotyper Liebesgeschichten ertränken. Hallo Trailer: Sollte der venezianische Löwe – zumindest in Sachen italienisches Kino – doch vor der Glotze sitzengeblieben sein?

Abseits vom Lächelzwang fürs Abschiedsfoto: Das Festival von Venedig, das zeigt auch dieser Jahrgang, geht schweren Zeiten entgegen. Zunächst stehen riskante Personalentscheidungen an – und die politischen Spitzen nehmen das diskrete Werben von Biennale-Chef Davide Croff und Festivaldirektor Marco Müller um Vertragsverlängerung derzeit arg verhalten auf. Auch wächst der Druck der Konkurrenzfestivals: Toronto zieht in der zweiten Woche jegliches angloamerikanische Interesse vom Lido ab, und auch Rom hat sich für seine zweite Ausgabe im Oktober wieder viel vorgenommen. Schließlich ist da der neue, gigantische Festivalpalast: In vier Jahren, zum 150. Geburtstag des italienischen Nationalstaats, soll er fertig sein.

Doch das bedeutet drei Festivals auf der Baustelle, und am Ende ist alles – mit elf Sälen, darunter dem größten Italiens mit 2400 Plätzen – womöglich zwei Nummern zu groß.

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