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Kino: Freue dich also

Der schwedische Tüftler Roy Andersson und sein aberwitziges Arrangement „Das jüngste Gewitter“

So traurig. Diese Bleichgesichter in den grüngraustichigen Tableaus, wie sie rumsitzen oder durchs Bild schlurfen, sich unter viel zu kleine Haltestellendächer drängen im Regen oder müde mit ihren erwachsenen Söhnen telefonieren am Garderobentelefon bei irgendeinem Hochdie-Tassen-Jubiläum. Oder wie sie sich, auf das ewiggleiche Glockenbimmeln hin, zur letzten Runde an den Tresen schieben, Herde stillgemachter Zoo-Menschen, still durch eine Sonnelosigkeit fürs Leben. Totenstill. Naja, fast.

So unvermutet froh, so zufrieden, so innerlich freundlich besonnt der Mann, der das alles erfindet, austüftelt bis ins letzte Raumdetail: Roy Andersson, Kinovisionär. Gut durchblutet, mit einem Lächeln, das Bestandteil seines Gesichts geworden scheint, so ganz anders als seine Nachtmahrgestalten: „Alt bin ich ja“, sagt er mit seinen knapp 65, „aber ich habe Vertrauen in die Zukunft.“ Ja, da ist jemand, der in sich wohnt, mit weiten Fenstern zur Welt, so anders als seine beengten Zweiraumlemminge, die sich mit Pauken- und Tuba-Üben fürs Schützenfest auf die Nerven gehen. „Wir sollten uns freuen, dass wir leben und gesund sind, dass wir das alles genießen können“, und das Reden ist ein langer, ruhiger Fluss, „ist das nicht fantastisch?“

Klar, fantastisch. Fantastisch vor allem der Widerspruch zwischen dem götterfunkenstrahlenden Mann, der doch ein kafkaischer K. hätte sein sollen, mindestens, und seinen marthalerisch entrückt-entfremdeten Sangesfiguren. Und, nach der ersten Verblüffung, so wunderbar aufzulösen. Denn ist da nicht eine durchdringende Heiterkeit auch in diesen nur 56 Einstellungen in 94 Minuten, während die Kamera sich gar nicht bis allerkaumst bewegt? Die Drastik etwa, wenn Deckenlampen sich aus ihrer Verankerung lösen, nur weil ein nachbarschaftlich Lärmgeplagter sich mit dem Besenstiel zu wehren beginnt. Oder wenn ein blasses Männchen seine rentensichernden Guthaben memoriert, während die dicke Gattin obenauf dem Orgasmus entgegenjapst. Oder der feinere Humor. Und der ganz feine, der sich auspulvert in Philosophie.

Zum Beispiel der Psychiater in Bild 31. Ist er nicht bejammernswert in aller Verachtung für seine miesepetrige Kundschaft, der er nur noch fette Pillen verschreibt, selber ganz Bekümmernis gewordene Gestalt? Und ist er nicht zugleich der traurige Clown, der mit einem Schulternhängenlassen das Leben erklärt? „Er ist mein Gewährsmann“, sagt Andersson, „eigensüchtige Menschen sind unheilbar. Wer nicht großzügig ist, kann auch nicht glücklich sein.“

So dreht sich das, ins Helle und Hellere. Auch findet so das Motto seinen Platz, das den Bildern dieser Filmausstellung vorangestellt und dem der schwedische Titel „Du Levande“ (Du Lebender) entnommen ist. Von Goethe stammt es, Roy Andersson hat es einem Zeitungsartikel über die „Römischen Elegien“ entnommen: „Freue dich also, Lebend’ger, der lieberwärmeten Stätte, / ehe den fliehenden Fuß schauerlich Lethe dir netzt.“ Er liebt es als Ermutigung, Erinnerungswertes zu sammeln und dem Totenfluss Lethe zu trotzen, der das Menschengedächtnis löscht. Da mögen – Bild 13 – noch so viele Graugestalten mit der Trambahn Richtung „Lethe“ fahren.

Was vielleicht zu erinnern wäre aus Roy Anderssons beruflichem Leben: dass er das Glück kennt und die Schwärze und dann doch wieder das irrwitzig plötzliche Glück. 1970 mit 26 Jahren und seinem Erstling „Liebesgeschichte“ war er gleich in den Berlinale-Wettbewerb eingeladen, und dann brach das Festival wegen des Jury-Skandals um Michael Verhoevens Anti-Vietnam-Film „o.k.“ auf halber Strecke auseinander. „Ich hab’ damals selbst die Protestliste gegen die Jury unterschrieben“, erinnert sich Andersson lächelnd, und am Ende gab’s für seinen Bären-Favoriten ein „Trostpflaster vom Bürgermeister. Schön war der Pokal nicht, aber immerhin.“

Oder: Wie kein Produzent mehr mit ihm arbeiten wollte sechs Jahre später nach seinem Flop „Giliap“, der schließlich die gesamte Regiegage verschlungen hatte – „ein totales Fiasko, und ich hatte zwei kleine Kinder zu ernähren“. Und wie die Werbefilmindustrie ihn rettete, „eine finnische Schokoladenfirma, sie waren die einzigen, die anriefen“. Und dann: über 300 Clips seitdem, Weltruhm, Werberuhm, auf ewig auch in der Youtube-Welt zu bestaunen. Und allesamt bevölkert von unverwechselbaren Andersson-Geschöpfen.

Schriftsteller hatte er zuerst werden wollen, mit 15. Dann Maler. Und dann, Ende der Fünfzigerjahre und Ende seiner Gymnasiumszeit, versank er selig im Kosmos der bewegten Bilder, „die Russen, Tschechen, Polen, Franzosen und dann Antonioni“, all diese Neuen Wellen! Und aus dem Dichtermaler, dem Geschichteninsbildsetzer wurde der Regisseur. „Nie wieder wollte ich in der Hand fremder Leute sein“, beschloss er nach seiner Mittdreißigerkrise, und seitdem baut er mit dem Stockholmer „Studio 24“ an seinem Mini-Babelsberg. Hier entstehen in wochenlanger Tüftelei die faszinierenden 90-Sekunden-Szenarien, die einem schnurstracks in die Träume gehen.

Manchmal sogar träumen seine Figuren selbst. Sie stehen im Stau oder am Tresen und erzählen dem Zuschauer den Anfang ihres Traums; dann legt Andersson los und zeigt ihn einfach, so leicht geht das, wie bei Buñuel. Der Mann zum Beispiel, der nach dem misslungenen Tischtuchtrick auf den elektrischen Stuhl kommt. Oder das Mädchen, das den Punkstar heiratet und mit ihm in einem doppelstöckigen Haus durch die kleine Welt fährt. „Songs from the second floor“ hieß der Spielfilm, der Andersson vor acht Jahren berühmt machte, sein erster seit 24 Jahren. „Das jüngste Gewitter“ nun, wieder nach vierjähriger Bastelei, erzählt nur scheinbar vom Weltuntergang. Schließlich haben wir traurigkomischen Menschlein auch den noch selber in der Hand.

Hackesche Höfe, Kant, Kulturbrauerei, Moviemento, Union, OmU im Babylon Kreuzberg und im Yorck

ROY ANDERSSON (64), geboren in

Göteborg, drehte zwei Spielfilme, bevor er sich jahrzehntelang dem Werbefilm

zuwandte. Seit 2000

schuf er zwei weitere Werke fürs Kino.

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