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Herfurth

© ddp

Film: Im Innern der Schneekugel

Vor fünf Jahren gewann Caroline Link mit "Nirgendwo in Afrika" den Oscar. Ihr neues Familien-Melodram "Im Winter ein Jahr" lebt vor allem vom Minimalismus Josef Bierbichlers.

Halten wir uns in diesem Film, der immer wieder über seine Ränder tritt, mal absichtsvoll und häufiger unfreiwillig, an Josef Bierbichler. Bierbichler, den man schon ganz anders in ganz anderen Rollen gesehen hat, knurrend, tobend, ein Vulkan, macht hier fast nichts, und das ist sein Geheimnis. Er redet nur das Allerallernötigste, und er bewegt sich, obwohl er hier als Maler ein riesiges Atelier hoch überm Starnberger See sein eigen nennt, scheinbar kaum. Bierbichler gibt dem Film seine Mitte, nicht nur, wenn er einfach sagt: „Ich bin da.“

Josef Bierbichler ist der Maler Max Hollander, der sich auf großformatige fotorealistische Auftragsporträts in Grau- und Brauntönen spezialisiert hat, und als solcher hat er nicht immer viel zu tun. Stört ihn nicht. Auch dass überhaupt selten Menschen ihn heimsuchen in seiner Backsteinklause: Stört ihn nicht. Stört ihn also fast eher, dass mit Eliane Richter (Corinna Harfouch) denn doch eines freundlichen Sonnentages eine Kundin aufkreuzt vor seinem ausgeleierten und doch tückisch sich verhakenden Gartentor – oder hat der zurzeit beschäftigungsarme Max womöglich innig auf einen solchen Auftrag gewartet? Josef Bierbichler wäre nicht Josef Bierbichler, wenn er sich das eine oder das andere anmerken ließe. Und siehe da: Stört nicht weiter, im Gegenteil.

Eliane Richter ist gefragte Innenarchitektin, ihr Mann (Hanns Zischler), Professor der Bionik, schreibt erfolgreiche Bücher mit schönen Titeln wie „Die Vielfalt unserer Welt“. Alles in schönster großbürgerlicher Ordnung sozusagen, nur ist den beiden in dieser vielfältigen Welt letzthin der 19-jährige Sohn Alexander abhanden gekommen. Ein Jagdunfall, sagt die Mutter, als sie bei Hollander ein Bild bestellt, das Alexander und seine zwei Jahre ältere Schwester Lilli (Karoline Herfurth) darstellen soll. Es war Selbstmord, sagt die zum Porträtsitzen verdonnerte Lilli. Und Max alias Josef Bierbichler tut, was er in den gesamten 128 Minuten des Films mit wunderbar minimalistischen Variationen immer wieder tut: Er behält die Ruhe.

So behutsam, so vorsichtig fast und so stillfeierlich beginnt der Film, den Oscar-Preisträgerin Caroline Link jenseits vieljähriger Stille ihrem großen, erwartungsfrohen Publikum anbietet. Und mit einem Rätsel, das aufzuklären sie sich nicht eilt: Warum hat sich dieser fröhliche Junge umgebracht, der in der ersten Erinnerungseinstellung im Schneetreiben so gelöst zur Kopfhörermusik im Garten tanzt? Im Winter wird das die Familie traumatisierende Ereignis ein Jahr her sein, und einstweilen probieren ihre verbliebenen Mitglieder Trauerarbeit, Absetzbewegungen, Schmerzüberwindung. Und in den weiten, viel Raum lassenden Bildern der Kamerafrau Bella Halben ist das auch unbedingt schön anzusehen.

Das Kerngeschehen wiederum verlässt sich ganz auf die unbedingt und jederzeit schön anzusehende Karoline Herfurth – und fast ein wenig schlicht variiert das Drehbuch der Regisseurin die Link'schen Leitmotive. Wie in ihrem Debüt „Jenseits der Stille“ (1996) und ihrem Oscar-Triumph „Nirgendwo in Afrika“ (2001) erzählt sie von einem Tochterschicksal, das dem einsturzgefährdeten Dach der Elternwelt so eben noch entkommt. Die Alten zerbrechen aneinander, diesmal fast ohne Streit, und die Junge fängt, gegen alle Widrigkeiten, zu leben an.

Derlei Häutungsprozesse sind grundsätzlich begrüßenswert, und doch: Diesmal sperrt Link ihre Protagonisten ganz in eine dramaturgische Schneekugel, um die sich wieder nur Josef Bierbichler einen Schmarrn schert. An ihm darf sich die mal ätherische, mal kratzbürstige Tanzstudentin Lilli in unermüdlich herbeigeführten Begegnungen abarbeiten – Ähnlichkeiten mit der vitalen Maler-Modell-Beziehung aus Jacques Rivettes „Die schöne Querulantin“ sind offenbar willkommen, aber gefährlich.

Denn wo Rivettes Beziehungsgeflecht stets hochnervös geerdet bleibt, wirken Links Akteure wie bloße Kunstfiguren. Am deutlichsten wird dies, wenn sie plötzlich Gefühle spielen sollen. Der Zorn und die Tränen und die Trauer der Eltern: Papier. Die Macho-Vitalität des jungen Bildhauers (Misel Maticevic), in den Lilli sich versuchsweise verliebt: ausgeliehen vom Skilehrer-Klischee nebenan. Ihr Tobetanz im Probenraum der Akademie, mit dem sie sich endlich ausschüttelt für die Zukunft: eine minutenlang tapfer exekutierte Drehbuchidee.

Überhaupt: Streckenweise peinsam sind die genuin künstlerischen Anstrengungen geraten – in einem Film, der nebenbei oder doch hauptsächlich von der Heilkraft der Kunst erzählen will. Das teure Gemälde der Geschwister, das Max nach intuitiver Familienanamnese zustande bringt, gehört ins gehobene Kaufhausregal, die Probenszenen zu „Alice im Wunderland“ mit und ohne Frontfrau Lilli bleiben angestrengt amateurhaft, und auch Niki Reisers esoterisches filmmusikalisches Einerlei nervt durch nichtendenwollende Tingeltangeltriolen. Immer wieder, vor allem in jener Überdeutlichkeit, die aus dem prätentiös Angedeuteten entsteht, lappt das Geschehen hinüber in den Kitsch. Nicht, dass Links frühere Filme gegen derlei Gefahren gefeit gewesen wären, doch hatten sie ungleich packendere Geschichten zu erzählen.

Noch einmal: Warum stirbt Alexander? Spuren legt der Film aus in den Schnee und verwischt sie ausdrücklich gleich wieder. Doch wo Gründe fehlen, fehlt Schuld, fehlt Auseinandersetzung, fehlt Katharsis – und bald infiziert die Abwesenheit und existenzielle Leere, die den Film immer kälter überstrahlt, auch seine aufgeregtesten Handlungsträger. Mit Ausnahme von Josef Bierbichler. Halten wir uns an ihn. Er ist da.

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