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Vovemberkind

© Schwarzweiß-Verleih

Kino: Neben der Spur

Es sind die besten Abschlussfilme der deutschsprachigen Filmhochschulen. Doch bei den "First Steps"-Kandidaten hat es schon fröhlichere Jahrgänge gegeben - eine Vorabsichtung.

Eine Frau taumelt durch den Wald. Verwirrt. In dünnen Kleidern. Man weiß noch gar nicht, worum es geht in diesem Film, da ist bereits klar: Hier flieht jemand vor sich selbst. Wie sich bald herausstellt, haben Schwangerschaft und Geburt die Frau in eine tiefe Depression getrieben. Der Frau ist das Kind fremd, der eigene Körper fremd, die Welt fremd. „Reiß dich doch zusammen!“, fordert ihr Mann. Die Frau schweigt. Was soll sie auch sagen? Zusammenreißen ist nicht so einfach, wenn man einmal von der Rolle ist.

Die Hauptfigur aus Emily Atefs beeindruckendem Psychogramm „Das Fremde in mir“ (Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin) steht nicht als Einzige neben sich. Wenn morgen Abend im Theater am Potsdamer Platz zum neunten Mal die „First Steps Awards“ für die besten Abschlussfilme der deutschsprachigen Filmhochschulen verliehen werden, geistert die psychologische Entfremdung als heimliches – oder besser: unheimliches – Leitmotiv durch die 164 nominierten Filme. Es hat schon fröhlichere Jahrgänge gegeben. Moderatorin Nina Eichinger sollte auf jeden Fall ein paar aufmunternde Worte fürs Publikum bereithalten.

Ohne je von irgendjemandem um Zustimmung gebeten worden zu sein, wird man als Mensch ins Leben geworfen. Schon das kann hochgradig unerfreulich sein. Doch manchmal dringt dazu noch eine fremde Macht gewaltsam ins Unbewusste ein und führt fortan eine despotische Regentschaft über das Seelenleben. Mit einem Mal ist man nicht mehr Herr im eigenen Haus und dadurch nicht mehr in der Welt daheim. In Brigitte Maria Berteles „Nacht vor Augen“ (Filmakademie Ludwigsburg) kehrt David nach einem Bundeswehreinsatz in Afghanistan in seinen Schwarzwälder Heimatort zurück. Traumatische Erinnerungen machen seiner Potenz zu schaffen. Er nässt ins Bett. Die Aggressionen nehmen überhand. Für den Kriegsheimkehrer ist die Welt zu eng geworden. Wie ein Panzer in verwinkelten Kleinstadtgassen eckt er überall an. Was harmlos beginnt, entwickelt am Ende eine erstaunliche Intensität.

Der „First Steps Award“ gehört neben dem Münchner „Förderpreis Deutscher Film“ und dem Saarbrücker „MaxOphüls-Preis“ zu den wichtigsten Nachwuchsauszeichnungen. Weil Abschlussfilme prämiert werden, fechten die Filmhochschulen jedes Jahr einen inoffiziellen Wettbewerb aus. Dieses Mal liegt die Filmakademie Ludwigsburg mit sieben Nominierungen vorne. Das Preisgeld in den fünf Kategorien beträgt 72 000 Euro.

Bei der Preisverleihung geht es um die Nachfolge von Regisseuren wie Hans Weingartner, Vanessa Jopp, Valeska Grisebach. Emily Atefs „Das Fremde in mir“ und Brigitte Maria Berteles „Nacht vor Augen“ werden gute Chancen eingeräumt – auch weil mit Susanne Wolff und Hanno Koffler zwei überzeugende Hauptdarsteller die Filme schultern. Im Kino laufen beide Filme im Oktober an. Oben auf der Rechnung steht auch „Novemberkind“ (Filmakademie Ludwigsburg). Auch hier kommt eine junge Frau von ihrem Weg ab, nachdem sie mehr über ihre Vergangenheit erfährt als gewollt. Behutsam erzählt der Regisseur Christian Schwochow eine Geschichte über die Verwerfungen, die das geteilte Deutschland mit sich brachte – und wie sie bis heute nachwirken. Zwischen Mecklenburg und Bodensee, zwischen 1980 und 2008 hin und her springend, wird die Weltgeschichte zum privaten Melodram verdichtet (Kinostart: 20. November).

Nicht mehr daheim sein im Leben, verstoßen werden in die seelische Obdachlosigkeit: In den Kurzfilmen „Nachts das Leben“ (Hochschule für Fernsehen und Film München) und „Nachglühen“ (Zürcher Hochschule der Künste) ist es das Trauma des Verlustes, das die Figuren aus der Bahn wirft. Ein Kind stirbt, ein Vater kommt beim Skifahren ums Leben. Vor allem Lisa Blatters bewegender Schweizer Beitrag schafft es, die Entfremdung spürbar zu machen. Und selbst in den Dokumentarfilmen ist das Motiv der Entfremdung noch greifbar. Ein Beispiel ist Sebastian Heidingers „Drifter“ (dffb), der im Februar auf der Berlinale zu sehen war. Der Film verfolgt den Prostitutions- und Drogenalltag dreier Kinder vom Bahnhof Zoo. Verstörungsnachrichten aus dem beschädigten Leben.

Es gäbe in diesem Jahrgang wenig zu lachen, wenn „Rimini“ (Filmakademie Wien) nicht wäre. Zwar erzählt auch der einzige österreichische Beitrag von zwei Menschen, deren Leben von heute auf morgen ins Schlingern gerät. Im Vergleich zum Weltüberdruss dieser wortkargen Kerle strahlen selbst ThomasBernhard-Figuren Lebensfreude aus. Doch Regisseur Peter Jaitz entwickelt in seinem minimalistischen Film einen Humor der grantigsten Wiener Art. Vielleicht sollte man sich einfach ein Beispiel an der Hauptfigur Alex nehmen, der seine Entfremdung von der Welt behände uminterpretiert: „I bin der Normalste von allen“, sagt er. „Ich mach’ als Einziger des, was mir die andern Leit sag’n. Und alle anderen machen, was sie woll’n.“ So kann man’s nämlich auch sehen.

Am Donnerstag, 21.15 Uhr, präsentiert das Kino Babylon-Mitte mit „Robin“ und „Novemberkind“ zwei nominierte Filme.

Julian Hanich

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