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Kino: Wo die Dinos weiterträumen

Vom Glücksritter zum Straftäter: Der Film "Achterbahn" dokumentiert das abenteuerliche Leben des Berliner Pleitiers Norbert Witte

Ein verwunschener Ort, ein Märchenort mitten in Berlin. Dinos leben hier oder haben sich zum Schlafen gelegt, und zwischendrin auch ein paar Menschen, Aussteiger im Wohnwagen, halblegal. Wer die Schleichwege kennt, kommt aufs Gelände. Es wirkt wie ein Filmset, das leere Karussell, die Riesendinos im Gras. Doch der Abspann ist längst gelaufen.

Dass der Plänterwald mal was ganz anderes war, Rummel und Massenort, Vergnügungspark und Geldmaschine, heute kündet davon nichts mehr außer den rostigen Relikten. Und endlosen Rechtsstreitigkeiten, die das Land Berlin mit dem damaligen Betreiber Norbert Witte geführt hat, nach der Insolvenz des von ihm betriebenen Spreeparks und seiner Flucht nach Peru, mit einem Großteil der Fahrgeschäfte. Norbert Witte ist Persona non grata seitdem. Heimatlos in aller Welt. Und noch immer ein Mann mit Visionen.

Der Dokumentarfilmer Peter Dörfler hat dieses bewegte Leben in „Achterbahn“ nachgezeichnet – nüchtern, unparteiisch, ohne Kommentar. Den braucht man auch nicht, denn Witte, der zu gern auch vor der Kamera posiert, spricht für sich selbst und hat eine unglaubliche Geschichte zu erzählen. Ein Aufschneider mit schier unendlicher Chuzpe: Man merkt das Charisma, mit dem dieser Mann immer wieder den Aufschwung geschafft hat. Man sieht auch die Schuld, die er auf sich geladen hat. Und man begreift seine Lebenseinstellung, mit der er immer wieder beherzt auf Neuanfang gesetzt hat. Ein Stehaufmännchen, ein Träumer, ein großer Improvisator – und ein höchst unzuverlässiger Geselle dazu.

So einer passt schwer in Systeme, und mit einem System, dem Justizsystem, ist Witte fürchterlich aneinandergeraten, als er, wahrscheinlich verführt von peruanischen Drogenmafiosi, auf die blödsinnige Idee kam, in Teilen seiner alten Karusselle Kokain aus Peru nach Deutschland schmuggeln zu wollen. Dass er selbst in Berlin dafür viereinhalb Jahre abgesessen hat, einen Großteil davon im offenen Vollzug – das muss für den „fahrenden Gesellen“ schwer genug gewesen sein. Doch er hat es überlebt und plant schon das nächste Projekt. Schlimmer hat es seinen damals 20-jährigen Sohn Marcel getroffen. Der ist in Peru nach Abreise des Vaters verhaftet und stellvertretend für den Vater zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden. In Lima, unter unmenschlichen Bedingungen.

Wie lebt man mit dieser Lebensschuld? Um diese Frage kreist der Film, der dramaturgisch um die am Ende dann abgelehnte Revision des Gerichtsurteils in Peru gebaut ist. Dörfler begleitet Wittes Ex-Frau Pia und Tochter Sabrina nach Peru, ist bei den Gesprächen mit der Anwältin dabei, sucht mit ihnen nach den Resten der Fahrgeschäfte, die auf einem Hinterhof in Lima vor sich hinrosten, steht mit vor dem Gefängnis, erfährt mit ihnen die Ablehnung der Revision. Bittere, kaum auszuhaltende Szenen, die verzweifelte Mutter im Hotelzimmer, der Sohn, der tapfer Stärke vorgibt. Pia hat ihrem Mann nie vergeben, dass er den Sohn hineingezogen hat, die Familie ist zerbrochen, obwohl da noch Liebe ist. Wie lebt man mit dieser Lebensschuld?

Auch der so wortgewandte Norbert Witte weiß keine Antwort. Und aus dieser Ratlosigkeit zieht der Film seine Kraft: Hier hadert einer mit sich selbst und wird der Schuld doch nicht gerecht, und der Film nimmt nicht Partei, sondern zeigt nur die vernagelte, ausgeräumte Villa in Lima, zeigt den Plänterwald, in der Dämmerung, und die Schrottteile, die von Wittes Achterbahn blieben. Die traurigen Objekte sind das eindringlichste Bild für ein verlorenes Leben. Auch wenn Norbert Witte am Ende des 2007 gedrehten Films von einem neuen Unterhaltungspark an der Heidestraße träumt: Die Planungen sind längst darüber hinweggegangen, heute geht es höchstens noch um ein paar Imbisswagen.

Dass den Dinosauriern im Plänterwald von Vandalen der Kopf abgeschlagen wurde, das schmerzt Regisseur Peter Dörfler, hat er im Interview gesagt. Auch Schausteller wie Norbert Witte sind Dinosaurier. Manche stehen nie wieder auf.

Babylon Kreuzberg, Badeschiff Open-Air-Kino, Bar 25 Open-Air-Kino, Hackesche Höfe, Kino in der Kulturbrauerei

Christina Tilmann

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