zum Hauptinhalt
Jörg Immendorff

© Realfiction/promo

Künstler-Dokumentation: Unbedingt unbequem

Weitermachen, so gut es geht: die Dokumentation "Ich. Immendorff" zeigt den Künstler auch in sehr privaten Momenten.

Natürlich gibt es wieder den Arzt der Charité, der erklärt, wie bewundernswert der Maler Jörg Immendorff mit seiner Nervenkrankheit ALS umgegangen ist. Es gibt den Freund und Akademiekollegen Markus Lüpertz, der Immendorff zum Helden unserer Zeit erklärt. Es gibt Jonathan Meese, der kindisch kichernd ein Fünf-Minuten-Porträt des verehrten Vorbilds malt. Und es gibt die übliche Begleittruppe von Veronika Ferres über Tilman Spengler bis Gerhard Schröder, die den Dunstkreis des Meisters suchen.

Nein, dass er sonderlich kritisch wäre, kann man Nicola Graefs Dokumentarfilm über die letzten zwei Jahre des am 28. Mai 2007 verstorbenen Malers nicht zuschreiben. Es ist die sattsam bekannte Heiligengeschichte des von seiner Krankheit nicht besiegten Großkünstlers. So oder ähnlich hat man es in den letzten Jahren in allen Zeitungen gelesen.

Wenn hier einer kritisch ist, dann Immendorff selbst. Notorisch schlecht gelaunt scheucht er seine Assistenten durchs Atelier, auf dass sie nach seinen Anweisungen die Bilder malen. Herrscht sie an, wenn sie den Strohhalm nicht im richtigen Winkel ins Glas stecken oder die immer glimmende Zigarette vergessen. Lehnt, umgeben vom Kreis der Schüler, einen Studenten, der sich mit einer Mappe hoffnungsvoll für seine Klasse bewirbt, schroff ab: „Ich will dich nicht nehmen. Wenn ich die Katze schon sehe“.

Nein, Wehleidigkeit kann man dem Mann, der da im Rollstuhl sitzt und nach einem Koma nur noch mittels künstlicher Atmung Luft bekommt, nicht vorwerfen. Hier will einer arbeiten, bis zuletzt. „Es gibt keine Sekunde mehr zu verschwenden für irgendeinen Quatsch“, sagt er selbst. Auch der Film erhält dadurch eine unerwartete Dringlichkeit.

Das Pathos des Todesbekämpfers oder das Mitleid mit dem Krankheitsopfer wäre Immendorff selbst wohl suspekt gewesen. Viel lieber als über seine Krankheit spricht er über Kunst, über die ersten Aktionen an der Düsseldorfer Akademie, als die damaligen coolen Jungs Palermo, Polke und Richter so gar nichts anfangen konnten mit diesem Musterschüler, der in seinem Lehrer Joseph Beuys die lang gesuchte Vaterfigur gefunden hatte. Ja, auch darüber spricht er, über den Vater, der ihm immer gefehlt hat, weil der sich nach der Trennung von seiner Frau umgebracht hatte. Und davon, was für ein Wunder es ist, dank seiner zweiten Frau und Ex-Schülerin Oda Jaune im späten Alter selbst doch noch Vater geworden zu sein. „Was Jüngeres krieg ich nicht mehr“, habe er seiner Mutter am Telefon gesagt, als die gegen die Ehe mit der damals 17-Jährigen protestierte. Später im Atelier sagt Immendorff über seine Tochter: „Sie ist mein Elixier.“

Wahrscheinlich ist es das, was diesen Film bei aller ungebrochenen Heldenverehrung so anrührend macht: dass sich dieses Raubein von Künstler von seiner sensiblen Seite zeigt, ohne in Wehleidigkeit abzugleiten. „Ich mache, was ich immer gemacht habe – so gut es geht“, ist seine Devise. Immer scheint dabei dieser trockene Humor durch. Dann zitiert er frühere Aussprüche wie: „Gibt’s keinen Zoff, mach ich mir selber Zoff.“ oder „Ist Deutschland bequem, bin ich unbequem.“ Und hört doch geduldig am Telefon anderen Betroffenen zu, die bei ihm Rat und Hilfe zu ALS suchen.

Schwäche jedoch will Immendorff nicht gelten lassen. Auch wenn er seine kleine Tochter nicht mehr in den Arm nehmen kann. Oder wenn er, der für jeden Handgriff auf die Hilfe von Assistenten angewiesen ist, davon spricht, wie unangenehm es ihm immer war, von anderen Menschen berührt zu werden. Und am Ende bekennt: „Ich war schon einsam, als ich jung war. In der Kunst spielt Einsamkeit eine große Rolle.“

Einsam ist er auch in den Momenten größten Ruhms. Als sich bei der Eröffnung seiner Retrospektive „Male Lago“ 2005 alles in der Nationalgalerie drängt, wird der Maler schon draußen von Sanitätern in den Krankenwagen gehievt. Und als er, wenige Monate vor seinem Tod, im Atelier sein Staatsporträt von Gerhard Schröder vorstellt, schart sich alles um den Ex-Bundeskanzler. Der Künstler im Rollstuhl sitzt unbeachtet am Rand.

„Ich. Immendorff“ wird heute um 21 in der Volksbühne präsentiert. Ab Donnerstag läuft der Film regulär in den Kinos.

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false