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Nokan & Pandoras Box: Der Sonne entgegen

Trost-Kino: Japans Oscar-Gewinner „Nokan“ und „Pandoras Box“ aus der Türkei zeigen das Unglück von Familien und ihren Verwerfungen.

Eleganter geht’s nicht: die weiten Seidenärmel, die über die Hände gestreift werden, der feste, taftartige Stoff, der sich wie eine schützende Hülle um den Körper legt, bis das eigene Gewand darunter hervorgezogen und dekorativ über der Leiche ausgebreitet wird. Man sieht kein bisschen Haut, bei dieser japanischen Totenwaschung und -bekleidung, die ganz diskret verläuft, wie ein heiliges Ritual, kunstvoll wie ein Ballett der Hände, und gleichzeitig ohne Ekel vor totem Fleisch.

Derber geht’s nicht: Die riesigen geblümten Unterhosen, die die alte Dame fallen ließ, um ungeniert auf den hellbeigen Teppich der Tochter zu urinieren, sind am Ende völlig zugeschissen, und der Enkel seufzt entnervt, als er sie unter kaltem Wasser in der Bauernküche am Schwarzen Meer sauber rubbeln will. Dann flattern sie fröhlich auf dem Balkon. Ekel darf man auch hier nicht haben, vor dem Körper und seinen Malaisen.

Zwei Filme aus fernen Ländern, zweimal Alter und Tod, zwei wunderbare Beispiele eines humanen Kinos, das voller Zärtlichkeit seinen Protagonisten folgt und trotzdem am Ende von Abschied erzählen muss. Es geht um den Gegensatz von Stadt und Land, es geht um Generationen und Traditionen, etwas Altes stirbt, und trotzdem enden beide Filme hoffnungsvoll. Tröstlicher, wärmer kann man sich Kino nicht vorstellen als in diesen beiden Filmen, die zu Recht schon auf Festivals überall gefeiert wurden.

Der japanische Oscar-Gewinner „Nokan – Die Kunst des Ausklangs“ von Yojiro Takita hieß zunächst treffender „Departures“, denn um Abschied geht es – und was ist der Tod anderes als der Beginn einer großen Reise? Dass der etwas einfältige, gerade arbeitslos gewordene Cellist Daigo (Masahiro Motoki) eine Jobanzeige irgendwie falsch verstanden hat und glaubt, er heuere bei einem Reisebüro an, statt bei einem Begräbnisinstitut, das erscheint nicht ganz glaubwürdig. Auch nicht, dass er noch nicht mal seiner jungen Frau zu gestehen wagt, worin sein neuer Job eigentlich besteht – so groß kann ein Tabu eigentlich gar nicht sein, dass selbst Schulfreunde auf der Straße ausspucken und die Ehefrau irgendwann fordert: „Der Job oder ich“.

Seinen Zauber entfaltet „Nokan“ vor allem in den langen, geduldigen Einstellungen, in denen die Toten gewaschen und angekleidet werden – mit manchmal sehr komischen Untertönen. Dass das Ritual auch Trauerarbeit im besten Sinne ist, dass selbst hartherzige Angehörige am Ende ihren Frieden mit dem Tod machen können, das ist die größte Lektion dieses Films, der aus der Liebe zum Detail lebt. Da gibt es ein romantisches Hexenhaus, ein altmodisches Gemeinschaftsbad, wo die Bad-Chefin Kazuko die Tradition hochhält – und vor allem gibt es den exzentrischen Institutschef Sasaki (herausragend: Tsumtomu Yamazaki), der den Eleven wunderbar lakonisch und nicht gerade feinfühlend in den neuen Beruf einweiht. Am Ende löst sich selbst Daigos Familientrauma in Vergebung und Frieden.

Um Familie und ihre Verwerfungen geht es auch in Yesim Ustaoglus „Pandoras Box“. Die alte Mutter auf dem Land wird vergesslich, die drei erwachsenen Kinder holen sie in die Großstadt Istanbul – und merken bald, dass die willensstarke Dame (die französische Theaterschauspielerin Tsilla Chelton) sich keineswegs in ihr Leben integrieren lässt. Die eine Tochter kämpft mit ihrem pubertären Sohn, die andere hat eine Liebesaffäre mit einem verheirateten Mann, der Bruder hat sich den großen Erwartungen in ein hippiemäßiges Gammelleben entzogen. Großstadt-Egoisten, alle drei, und ist Pandoras Box aus Neid und Eifersucht erst mal geöffnet, gibt es kein Halten.

Und doch endet auch dieser Film mit einer fast utopischen Versöhnung. Der Enkel (Onur Ünsal) entführt die Großmutter aus dem Altersheim, zieht mit ihr zurück aufs Land, in eine ungewöhnliche, aber sehr entspannte Zwei-Generationen-WG. Und muss, als die Alzheimer-Krankheit übermächtig wird, die Großmutter doch ziehen lassen. Die winzige Gestalt auf einem Bergpfad, und dann fährt die Kamera höher und höher, der Berg scheint unüberwindlich, doch ganz oben ist Sonnenlicht: was für ein schönes Bild für die große Reise, die Tod heißt.

„Nokan“: Cinema Paris, FT am Friedrichshain, Kino in der Kulturbrauerei, Yorck, Hackesche Höfe (OmU)

„Pandoras Box“: Central, fsk am Oranienplatz, Lichtblick-Kino (alle OmU)

Christina Tilmann

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