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Paranoid Park

© Peripher

''Paranoid Park'': Mitten im Sprung

Hey, Alex, was ist los mit dir? Gus Van Sants verstörende Jugendstudie "Paranoid Park".

Der Paranoid Park in Portland, Oregon ist ein illegaler Skater-Parcours. Jugendliche haben dem schmutzigen Großstadtbeton eine Nische abgetrotzt. Die Stadtverwaltung lässt sie gewähren. Nach dem Unterricht hängt auch Alex (Gabe Nevins) hier gerne herum, obwohl er sich unter den wendigen Superskatern eigentlich noch gar nicht gut genug fühlt auf seinem rollenden Brett. An einem Herbstabend wird er von einem der „Wegwerf-Kids“ zum Eisenbahn-Surfen eingeladen. Während die beiden am Frachtwagon hängen, kommt es zu einem Verbrechen, das den weltentfremdeten Alex im Mark erschüttert. Ein einziger Schlag enthüllt ihm die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens. Die Polizei heftet sich an seine Fersen.

Teenager in einem beschädigten Leben

So ließe sich die Handlung von „Paranoid Park“ zusammenfassen. Doch wer die Geschichte chronologisch ordnet, hat schon massiv eingegriffen in einen Plot, den man nicht einfach ausrollen kann wie einen Perserteppich. Der Film springt vor und zurück. Schiebt Ellipsen dazwischen. Hält inne. Blickt sich um. Und taucht dann plötzlich wieder an Stellen auf, die man bereits gesehen hat.

Die Aufklärung der blutigen Tat steht nicht im Mittelpunkt dieser Erzählung (basierend auf einem Roman von Blake Nelson). Regisseur Gus Van Sant nützt die lose Szenensammlung vielmehr als Anlass, um einen traurigen, faszinierten und sehr aufmerksamen Blick auf Teenager und junge Erwachsene zu werfen, die sich in einem beschädigten Leben zurechtfinden müssen – ein Thema, das ihn seine Karriere hindurch begleitet und seine jüngsten Filme dominiert, ob „Elephant“ (2003) oder „Last Days“ (2005). Die Eltern von Alex, kurz vor der Scheidung stehend, tauchen in dieser Welt nur als Schemen auf. Die Lehrer ziehen wie Schatten vorüber. Unter den Erwachsenen gewinnt einzig der Kommissar (Dan Liu) an Kontur. Und das will was heißen.

Ergreifendes Kinoerlebnis

Anders als Van Sants Vorgängerfilm „Last Days“ über den Selbstmord Kurt Cobains erfordert „Paranoid Park“ vom Publikum keine Kunstanstrengung. Im Gegenteil: Wer ein Minimum an formalem Interesse mitbringt, wird mühelos in die Welt des Films gesogen. Durch ausgedehnte Zeitlupensequenzen und gleitende Steadycam-Aufnahmen kreiert Van Sant gemeinsam mit seinem stupenden Kameramann Christopher Doyle einen Rhythmus, der den Zuschauer in einen träumerischen Wachzustand wiegt: eyes wide shut. In stark verlangsamten Bildern fliegen die Skater minutenlang über die Rampe der Halfpipe. Hyperrealistische Detailaufnahmen zeigen, wie Duschwasser über Alex' Körper rinnt, während er in sich zusammensinkt. Super-8- und 35mm-Aufnahmen wechseln sich ab. Auf der Tonspur breitet Leslie Shatz Tonlandschaften aus, in denen sich sphärische Flüsterklänge mit Alex' Monologen mischen oder Nino Rotas Filmmusiken zu den Fellini-Filmen „Amarcord“ und „Julia und die Geister“ in Rap oder Beethovens neunte Symphonie übergehen.

In kurzweiligen 85 Minuten kommt Van Sant dem Experimentalfilm beinahe ebenso nahe wie dem Erzählkino. Wie zuletzt „Schmetterling und Taucherglocke“ beweist auch „Paranoid Park“, dass ergreifende Kinoerlebnisse nicht auf Kosten formaler Wagnisse gehen müssen. Wie Julian Schnabel versucht auch Gus Van Sant, die Bewusstseinszustände seines Protagonisten mit denen des Zuschauers zu verschalten. Doch um die psychischen Missstände von Alex spürbar zu machen, muss Van Sant die Schraube noch zwei Umdrehungen weiterdrehen. „Paranoid Park“ ist mehr als ein einfühlsames Porträt: In seinen besten Momenten bringt uns der Film ganz nahe an ein somnambules Bewusstsein heran, das nicht mehr ein noch aus weiß.

fsk am Oranienplatz und Hackesche Höfe (beides OmU).

Julian Hanich

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