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Rezension: Des Teufels Arsenal

Ryan Fleck schickt in „Half Nelson“ einen jungen Geschichtslehrer durch die Drogenhölle.

Kräfte, immer wieder redet er von Kräften. Lässt die rechte Faust in die linke Handfläche klatschen und sagt: Kräfte! Entgegengesetzte Kräfte! Das ist Geschichte, Kinder, so entsteht sie. Aus Kräften!

Das hegelt, das hat Drive, das hat den Rap der Dialektik. Da werden sogar die ganz Stumpfen wieder wach, die in der letzten Reihe, die hoffnungslosesten unter all den hoffnungs- und chancen- und perspektivlosen Zöglingen einer überwiegend schwarzen Highschool in Brooklyn. Und deshalb ist der kraftmeiernde Kräftephilosoph Dan Dunne auch locker der coolste Hund des Kollegiums, weil sein Geschichtsunterricht diesen hegelnden Drive hat, der überall Kräfte am Werk sieht, Kräfte, die ja auch die eigene Lebensgeschichte verändern könnten, mitreißen könnten, wohin auch immer, bloß raus aus diesem drogenverseuchten Getto-Elend.

Was die Schüler nicht wissen: In Wahrheit ist hier eine überaus diabolische Dialektik am Werk, in Wahrheit jongliert dieser Dan nicht mit antithetischen Kräften, sondern rotiert selbst in einem Teufelskreis. Dass er Tag für Tag den engagierten Junglehrer geben kann, dass er den Glauben an seine abstiegsgefährdeten Schüler nicht aufgibt, verdankt er allein seiner täglichen Dosis Crack. Wie aussteigen aus diesem satanischen Kräftefeld? Sich selbst retten, die Drogen zum Teufel jagen – und die Kids ihren dealenden Eltern überlassen? Oder weiter am Seelenheil der Kinder arbeiten – und die eigene Seele dem Satan schenken?

Das Dilemma konkretisiert sich, als Dan auf der Sporthallentoilette von seiner Lieblingsschülerin Drey beim Crack-Rauchen erwischt wird. Die Kleine hält dicht, aber Dan gehen in der Folge die Argumente aus, um ihr den Umgang mit dem schurkischen Onkel Frank auszureden, der die hochbegabte Schülerin als Drogenkurier rekrutiert hat. Er zieht sich immer weiter zu, dieser Teufelskreis, er ähnelt immer mehr jenem titelgebenden „Half Nelson“, der beim Wrestling einen Knebelgriff bezeichnet, aus dem sich der zu Boden gedrückte Gegner nicht mehr aus eigener Kraft befreien kann.

Das alles könnte der Stoff sein, aus dem schlechte Gutmenschenfilme gestrickt sind. Doch Regisseur Ryan Fleck und Produzentin Anna Boden scheinen sehr genau gewusst zu haben, dass sie in ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm mit gefährlichem Material hantieren; dass das Genre des Drogenfilms selbst zur Klischeesucht neigt. Fleck und Boden aber gelingt ein packendes Drama, das nicht nur, aber auch nicht zuletzt vom fulminanten Spiel seiner Hauptdarsteller lebt: der gerade 18-jährigen Shareeka Epps, die als hyperintelligente Pubertistin glänzt, vor allem aber Ryan Gosling, der für seine Verkörperung des faustisch zerrissenen Junglehrers zu Recht mehrfach ausgezeichnet und vergangenes Jahr sogar für den männlichen Hauptrollen-Oscar nominiert wurde.

Am Ende deutet sich dann doch ein Ausweg aus dem Teufelskreis an, ein vager, kein sauberer, einer, der nicht geradeaus zum Ziel führen kann. Da sind dann Kräfte am Werk, von denen selbst ein Dan Dunne nichts ahnen konnte.

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