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Valkuere

© Twentieth Century Fox

Stauffenberg-Film: Berliner Lektionen mit Tom Cruise

In Amerika zu Weihnachten im Kino, bei uns am 22. Januar: Der Stauffenberg-Film "Operation Walküre" mit Tom Cruise ist in der Welt. Nie gab es so viel Getöse und Gespött um einen mittelprächtigen Film.

Was bisher geschah: Getöse, Getöse. Wahrscheinlich das größte Getöse, das – zumindest im neueren Deutschland – je um einen Film gemacht wurde. Und wenn nicht alles täuscht, ist das, was von „Operation Walküre: Das Stauffenberg Attentat“ eines nicht fernen Tages bleiben wird, eben jene tosende Aufregung. Das chaotische Drumherum. Der seltsam erstarrte Tornadowirbel um eine verblüffend stille, leere Mitte namens Film.

Immerhin, gelernt hat man allerhand in diesen nunmehr fast zwei Jahren Rummel um das ehrgeizigste Projekt des Actionhelden Tom Cruise. Etwa dass es keinen Sinn hat, einem US-Star mit seiner Scientology-Mitgliedschaft zu kommen, wenn der partout den Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg verkörpern will. Dass eine gesamte deutsche Ministerialbürokratie auf verlorenem Posten steht, wenn das von diesem Star geführte US-Studio United Artists zur Nachstellung der Erschießung der Männer des 20. Juli partout eine echte Berliner Gedenkstätte benötigt. Und dass all das unbedingt am selben Ort wiederholt werden muss, wenn beim ersten Dreh – ominös, ominös – das ganze Negativmaterial vernichtet wird.

Oder auch dies: Wie einflussreiche konservative deutsche Medienleute und Nachwuchsgroßregisseure plötzlich Gewehr bei Fuß stehen, wenn es gilt, einen ungesehenen amerikanischen Film zum Jahrhundertereignis sowie seinen Protagonisten zur Erlösergestalt hochzujubeln. Oder wie ein von spätem Nachdreh zum unvermuteten Ausstieg der Co-Chefin strauchelndes Filmgroßprojekt mit – wenn wir richtig gezählt haben – vier weltweiten Startverschiebungen geradewegs ins Guinness-Buch der Marketingkatastrophen schlittert. Oder auch der Krach um die Berliner Komparsen, die nach dem Sturz von einem Militärlaster nunmehr mit der Produktionsfirma juristisch um fürstliches Schmerzensgeld streiten. Und und und. Ein Abgrund an Dementis, Durcheinander, Peinlichkeiten.

Nicht, dass sie es nicht spannend gemacht hätten, bis zuletzt, als es nur noch um Sperrfristen für die Berichterstattung ging. Gestern Mittag fiel überraschend und weltweit das Anfang Dezember verhängte Embargo. Der Film kommt zwar hierzulande erst am 22. Januar ins Kino, aber die gestrige New Yorker Gala-Show hat längst den Status einer globaldörflichen Weltpremiere.

Und nun zum Hauptfilm. Er ist keineswegs das Gemetzel, das bei Regisseur Bryan Singer zu erwarten gewesen wäre, der sich nach seinem frühen Ruhm mit den „Üblichen Verdächtigen“ (1994) überwiegend um die Serienfertigung von „X-Men“- und „Superman“-Filmen verdient gemacht hat. Auch hat Christopher McQuarrie, der seit seiner oscar-gekrönten Mitarbeit an den „Üblichen Verdächtigen“ nichts Nennenswertes mehr hervorbrachte, keineswegs eine Drehbuch Katastrophe zu verantworten. Dennoch droht „Operation Walküre“, weil es sich zum Popcorn-Kino nicht hintraut und zugleich jede übergeordnete konzeptionelle Brillanz vermissen lässt, ein schweres Schicksal: sowohl bei den Oscars, deren Zulassungsregeln der Film mit dem US-Starttermin zu Weihnachten knapp erfüllt, als auch an der Kinokasse. Das einzige, was sich mit Sicherheit über dieses Kinoabenteuer sagen lässt: Tom Cruise, seit seinen bizarren US-Talkshow-Eskapaden schwer angeschlagen, mag zwar als Thetan weiter die Gipfel der Scientology Hierarchie stürmen, sein Image als Schauspieler aber ist durch „Operation Walküre“ endgültig ruiniert.

Cruise gibt – und das ist nicht der Augenklappe geschuldet, die er als kriegsversehrter Stauffenberg trägt – dem Film sein maskenhaftes Zentrum, um das herum alle schauspielerischen und sonstigen Bemühungen gespenstisch erodieren. Und diese sind durchaus beträchtlich, vom sorgfältigen Spiel der Mitverschworenen über die Kamera (Newton Tomas Sigel) bis zur geschickt auf gedämpfte Trommelwirbel und Celloklänge reduzierten Musik (John Ottman). Doch wirkt der Aufwand angesichts des steinern agierenden Hauptdarstellers nachgerade grotesk.

Die Geschichte ist – bis auf einen hübsch trickreichen „Was wäre gewesen, wenn“-Twist, der vom faktennahen Erzählfluss formal kaum abweicht – chronologisch erzählt: Stauffenbergs reifendes Widerstandsbewusstsein nach der Verwundung in Tunesien, die Verschwörung in Berlin als leiser Aufstand eher alter denn junger Wehrmachtsmänner, das scheiternde Attentat auf der Wolfsschanze, die dramatischen Stunden um die Befehlshoheit, bis die Notlüge vom toten Hitler nicht mehr haltbar ist, die Hinrichtung im Bendlerblock. „Based on a true story“: Das ist das weltweite Markenzeichen solcher Filmgeschichten – und die in langatmigen Palavern anhebende und zunehmend zügig heruntererzählte Handlung hält sich immerhin im Wesentlichen an die große, detailreich überlieferte history.

Kleine Abweichungen und Ausschmückungen? Zum Beispiel, dass dem tapferen Generaloberst Ludwig Beck (Terence Stamp) nach dem misslungenen Attentat ein glatter Selbstmord mit Pistole gegönnt wird, während er tatsächlich elend verblutete; oder dass die Fräuleins von der Fernmeldezentrale bei der Nachricht vom Tod des Führers wie auf Kommando in Tränen ausbrechen; oder dass General Fromm (herausragend in der Reihe durchweg ordentlicher Nebendarsteller: Tom Wilkinson), der nach seiner zwischenzeitlichen Kaltstellung die Hinrichtungen vom Balkon aus befehligt, nach gehabter Exekution eiskalt seine Kippe wegschnippt. So ist es vielleicht nicht gewesen. Aber so hätte es sein können. Es gehört zum Job des Historienkinos, eben diese plausiblen Fantasien behutsam zu visualisieren.

Weniger plausibel erscheint nun – nach den grundsätzlichen Einwänden gegen Dreh-Rummel in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand –, warum die Produktion überhaupt auf diesem Originalschauplatz bestand. Die Locations am heutigen Finanzministerium, vor dem Messegelände an der Masurenallee und im Neuköllner Ganghoferbad mögen noch angehen, weil sie die eine oder andere Draufsicht-Totale erbringen – die Erschießungsszenen allerdings, meist halbnah oder in Großaufnahme gedreht, hätten sonstwo nachgestellt werden können. Der Sieg der Produzenten nach dem erbitterten Berliner Streit im vergangenen Jahr: Nun taugt er tatsächlich bloß für das, was viele befürchtet hatten – als Trophäe im Abspann.

Am Anfang war das Getöse, am Ende steht das Gespött. Schon delektieren sich US-Medien darüber, dass die Figuren mal Oxford-Englisch (Wilkinson u. a.), mal deutsches (Thomas Kretschmann, Christian Berkel) und mal unverstellt amerikanisches Englisch (Tom Cruise) parlieren, weshalb Freunde des besonderen Genusses sich unbedingt die Originalfassung ansehen sollten. Sogar Regisseur Bryan Singer geht in der „New York Times“ bereits leichthin auf Distanz. „Okay, das war mein Versuch, mal einen kleinen Film zu drehen“, sagt er über die 90-Millionen Dollar-Produktion, „und ich hab’s vergeigt.“ Und während die „Los Angeles Times“ den Film für die berüchtigte Goldene Himbeere ins Gespräch bringt (soviel Häme hat das Werk zwar nicht verdient), überzeugt www.dailyplastic.com unter dem Motto „Die tausend Gesichter des Tom Cruise“ mit einer superkomischen Fotoserie.

Schade, dass eine seriöse Zeitung nicht so viele Bilder bringen kann.

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