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Tango: Sound des Bordells

Knisternd intim: Der rührende Tango-Dokumentarfilm "Der letzte Applaus" zeigt die Verwurzelung der Sänger in dieser Musik - und die Entwurzelung in ihrem Leben.

„Singen ist eine Sucht“, sagt Cristina de los Ángeles. Wenn sie zwischen den abgeschabten Wänden des schummrigen Lokals am Stadtrand steht, ohne Mikrofon, vor kleinem Publikum, nur von einem Gitarristen begleitet, dann liegt in ihrer Stimme Hingabe und Stolz. Cristina gehört zu einer vergessenen Gruppe gealterter, ruhmloser Tangosänger aus Buenos Aires, die seit Jahrzehnten in der „Bar El Chino“ auftraten.

Diese unter Kennern legendäre Tangobar hatte Regisseur German Kral für seinen Film „Der letzte Applaus“ aufgesucht, um das Lokal und dessen angestammte Szene zu dokumentieren. Doch während der mehrmals unterbrochenen Dreharbeiten zwischen 1999 und 2006 verstarb der Bar-Besitzer. Und die Sänger überwarfen sich mit den neuen Inhabern. Außerdem erlebte Argentinien 2001 die größte Wirtschaftskrise seiner Geschichte.

All dies hat Kral in seinen Film aufgenommen. Er zeigt in den Porträts der Sänger nicht nur deren tiefe Verwurzelung im Tango, sondern nun auch ihre Entwurzelung im Leben. So gelingt es ihm, den Tango als tragisch-mythisches Genre ganz ohne Kunstgriff mit den schweren Lebensgeschichten der verarmten Künstler zu verknüpfen. Musikalisch ist das ein Glücksfall. Es geht um jenen Tango, der in den Bordellen und Mietskasernen von Buenos Aires, in knisternder Intimität zwischen Sängern und Publikum entstand, bevor er, orchestral aufgepeppt, die großen Tanzsäle und später Europa eroberte.

Trotzdem hält Kral, ähnlich wie in seinem Film „Música Cubana“, zum Schluss eine Versöhnung zwischen den Zeiten und Generationen parat. Die Begegnung der älteren Sänger mit den jungen, wagemutigen Musikern des Orquesta Típica Imperial gehört zu den aufregendsten Momenten des Films. Sie sorgt für einen letzten Auftritt der Veteranen vor großem Publikum – und hat sich auch in einem wunderbaren Soundtrack niedergeschlagen („El Último Aplauso“, Enja Records). Das Leben ist vergänglich. Was bleibt, ist die ewige Sehnsucht danach, der Tango.

Babylon Kreuzberg, Broadway, FT am Friedrichshain, Freiluftkino Museen Dahlem (alle OmU)

Roman Rhode

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