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Halt mich. Damien (G. Depardieu) und Enzo (Max Baissette de Malglaive).

© dpa

"Versailles": Ich, das fremde Kind

Leises und kraftvolles Kino: Pierre Schoellers berührender Film "Versailles" mit Guillaume Depardieu in seiner letzten Rolle.

Zwei Verschworene in der großen Stadt. Sie sind eher ein Doppelwesen als Einzelne: Mutter und Sohn. Höchstens wenn der kleine Junge, todmüde, eine Pappe am Boden sieht und sich einfach hinlegt – andere haben Betten, er hat meistens eine Pappe –, gerät ihre Doppeleinheit in Gefahr. Aber nur für Augenblicke. Enzo steht gleich wieder auf.

Denn ein Doppelwille sind sie auch. Als es im Nebenraum irgendeiner BetonKellerdisco zu laut wird, trägt Nina ihren Jungen weiter durch die Nacht, bis sie an irgendeiner Straßenecke einschlafen, nur um gleich wieder geweckt zu werden, von freundlichen Stimmen diesmal. So klingt die Fürsorge, wenn ihr fürsorglich zumute ist.

Und so beginnt Guillaume Depardieus letzter großer Film, für den er postum eine Nominierung für den César als bester Hauptdarsteller bekam. „Versailles“, das Regiedebüt des Drehbuchautors Pierre Schoeller, ist ein leises, zartes und doch ungemein kraftvolles Stück Kino über das Innensein und das Außensein, über das Fremdsein und das Zuhausesein, über das Kindsein und das Nieganzerwachsenwerden. Mit großen Worten gesagt: auch eines über Freiheit und Verantwortung. Und keine Geste, kein Wort ist hier zu viel.

Manchmal vormittags, wenn die Streunerin Nina (Judith Chemla) auf einer Parkbank sitzt und ihrem Sohn beim Spielen zuschaut, ist sie wie eine gewöhnliche Mutter und er wie ein gewöhnliches Kind. Nur dass sie nach dem Tag in Versailles nicht zurück in die Stadt fahren, sondern tiefer in den Park hineingehen, wo er zum dichten Wald wird. Und der Wald ist bewohnt, von solchen wie Damien (Guillaume Depardieu), an dessen Hütte sie im Dunkeln stoßen.

Nun sitzen da zwei aus der Welt Gefallene, die sich darüber streiten, ob sie die Welt verlassen haben oder ob es umgekehrt war. Und doch, wem dürfte man mehr vertrauen als einem Versager? Am nächsten Morgen ist Nina weg – aber ihr kleiner Sohn Enzo ist noch da. Wie lebt einer, der niemandem und nichts verpflichtet sein will, mit der größten aller Verpflichtungen – einem Kind, gar einem fremden?

Durchaus gespenstisch, dieser sterbenslungenkranke Damien-Guillaume im Wald von Versailles, und bei ihm der kleine Junge (ganz groß: Max Baissette de Malglaive), wie er ins Schloss rennt, um Hilfe zu holen. Guillaume Depardieu, der rebellische, eigensinnige und ein wenig haltlose Sohn seines Vaters, darf hier all das auch sein: rebellisch, eigensinnig, haltlos. Was für eine spröde, zarte Annäherung zwischen dem Mann und dem Kind. Und irgendwann, nur für den Jungen, kehrt Damien zurück ins wirkliche Leben, das ihm nur ein Scheinleben für Scheinlebendige ist. Und gleichzeitig wissen wir, dass auch Nina ihren Sohn nie vergessen hat.

Guillaume Depardieu ist nach Dreharbeiten in Rumänien 2008 an einer Lungenentzündung gestorben.

„Versailles“ läuft in Berlin im Central und im Filmkunst 66. Regisseur Pierre Schoeller stellt seinen Film heute, 20 Uhr, im Filmkunst 66 vor.

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