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KINOSTARTS: Die Spucke des Jahrhunderts TICKET

Großer Bogen, schnell verloren: Giuseppe Tornatore und sein Sizilienmelodram „Baarìa“

Spucke trocknet schnell auf den staubigen Straßen Siziliens. Der Junge rennt los, um dem Alten, bevor dessen Speichel verdunstet, Zigaretten zu holen. Als er durch die Gassen rast, hebt er ab, fliegt über die Stadt hinweg, durch die Zeit hindurch.

Mit einer großen cineastischen Geste beschwört Giuseppe Tornatore zu Beginn von „Baarìa“ den Zauber, die Dynamik und die visuelle Wucht des Kinos. Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass er mit dem oscarprämierten „Cinema Paradiso“ der Magie des Zelluloids ein filmhistorisches Denkmal setzte. An den Erfolg konnte er danach nie wieder anknüpfen. Filme wie „Allen geht’s gut“ oder „Der Zauber der Malèna“ versanken mehr oder weniger im Kunsthandwerkskitsch.

Mit dem Leinwandepos „Baarìa“ geht Tornatore nun aufs Ganze, entwirft ein gigantomanisches Fresco seiner sizilianischen Heimatstadt Bagheria (im Volksmund: Baarìa), vom frühen 20. Jahrhundert bis in die achtziger Jahre. Dreißig Millionen Euro hat das Prestigeprojekt verschlungen, das im letzten Jahr die Filmfestspiele in Venedig eröffnete, bei der internationalen Kritik floppte und an den italienischen Kinokassen gerade einmal ein Drittel seines Budgets einspielte.

Dabei volkstümelt „Baarìa“ nach Leibeskräften, lässt seine 63 Schauspieler und 147 Laiendarsteller lautstark parlieren, erkundet in den sonnengegerbten, fellinesken Gesichtern die Seele der einfachen Leute, schwelgt sich im breiten Cinemascope durch die kargen Berglandschaften Siziliens, überzieht die Wirren der Zeitgeschichte mit waldhonigfarbenem Licht und unterlegt jede Gefühlsregung mit den anschwellenden Orchesterklängen von Altmeister Ennio Morricone.

Im Zentrum von so viel meisterwerklichem Streben steht Peppino (Francesco Scianna), der als Sohn eines Landarbeiters heranwächst. Schon in der Schule weigert er sich, die Hymne an den Duce mitzusingen. Sein Blick für soziale Ungerechtigkeiten bringt ihn ins Rekrutierungsbüro der kommunistischen Partei. Fortan versucht sich Peppino, der fast ein Leben lang arbeitslos bleibt, als Politiker, dessen Streben nach gesellschaftlicher Veränderung in den korrupten Strukturen sizilianischer Verhältnisse versickert.

Ein Stehaufmännchen ist dieser Peppino, der um die politische Veränderung ebenso ausdauernd ringt wie um das Herz der schönen Mannina (Margareth Madè). Am Schluss der autobiografisch inspirierten Familienchronik bringt Peppino seinen Sohn zum Bahnhof, um ihn in ein Leben außerhalb Siziliens zu entlassen. Der junge Mann hat eine Kamera umgeschnürt, wird wahrscheinlich einmal Regisseur werden, vielleicht sogar einen Oscar bekommen und zum Dank an den Vater und die Heimat einen Film wie „Baarìa“ drehen, der in nostalgischen Erinnerungen wie in Eselsmilch badet, die italienische Geschichte des 20.Jahrhunderts in pittoresken Anekdoten verklärt und mit seiner auf 150 Filmminuten aufgeblähten Erzählung die Geduld des Publikums erheblich überstrapaziert.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe (OmU), Kulturbrauerei, Neue Kant-Kinos

Die Kritik zu „Sin Nombre“ erschien am 28. April. Alle Filmstarts dieser Woche

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