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Schön, aber sinnlos. So sehen manche Atheisten die überall herumstehenden Gotteshäuser. Hier die Theatinerkirche am Odeonsplatz in München.

© dpa

Kirchentag und Atheismus: Für mich bitte kein Kreuz

Messen sind oft große Shows, Gläubige engagieren sich, der Armenpapst wirkt bereichernd. Warum ich trotzdem nicht an Gott glaube: Bekenntnis eines Berliners zum Kirchentag.

Heute werden sie wieder durch den Kiez klingen und in meinen Ohren, als Sinfonie unserer Großstadt, als schlagendes Herz meiner Nachbarschaft, als Unterbrechung des Alltags zumindest in Gedanken – die Kirchenglocken rufen wieder zum heiligen Sonntag. Ich werde sie gern hören und gleichzeitig überhören. Denn was ist Berlin schon heilig? Schon gar nicht die Kirche. Mir auch nicht.

Dies ist ein Bekenntnis zum Kirchentag, zu dem in der kommenden Woche Zehntausende nach Berlin pilgern werden, die an das Gute im Menschen und im Himmel glauben oder zumindest daran, dass selbst der Tod ein gutes Ende nehmen kann. Als neugieriger Mensch bedaure ich, dass mir diese Welt verschlossen ist und bleibt. Aber die Wahrheit, die ich mit vielen Berlinerinnen und Berlinern teile, ist schlicht und deshalb nicht schlecht: Ich kann mit der Kirche nichts anfangen, nicht an Gott glauben. Der Kirchentag wird trotz spannender Veranstaltungen an mir vorüberziehen wie einst die Loveparade. Verkleidete Menschen aus aller Herren und Frauen Bundesländer liegen sich zu mir unbekannten Liedern in den Armen. Wenigstens werden die Gotteskinder den Tiergarten nicht achtlos zumüllen.

Bierwagen statt Sonntagspredigt

Sind diese Worte achtlos, respektfrei, rotzig? Mag sein, aber so ist Berlin eben, erst recht an Christi Himmelfahrt. Denn statt Amerikas Friedensprediger Barack Obama am Brandenburger Tor anzubeten, wird die halbe Stadt am langen Wochenende sowieso im Brandenburger Umland mit dem Bierwagen herumbollern, zumindest die Herren der Schöpfung, zumindest die mit ostdeutscher Sozialisation. Es ist keineswegs das bessere Ritual, manche Landpartie nimmt auch ein böses Ende. Doch selbst 28 Jahre nach der Revolution, die vor allem wegen der Kirche friedlich blieb, hat Gott nicht nur hier in der Diaspora keine Wohnung. Auch nicht in meinem Kopf und meinem Herzen.

Natürlich ist das ungerecht. Denn auch mir hat die Kirche viel gegeben, sie hat Freiheit ermöglicht und Freiraum eröffnet in der am Ende immer engeren DDR – und sie hat Zurückgelassene getröstet in den Umbrüchen danach. Eine Wende im Glauben bewirkt das bei mir trotzdem nicht. Es stärkt nur meine Achtung vor engagierten Pfarrern, die ja auch nichts anderes sind als Sozialarbeiter, unterwegs zwar im Auftrag des Herrn, aber doch auch oft voller Hingabe für die Mitmenschlichkeit. Auch das weiß ich und weiß es zu schätzen, wenn sonntags die Kirchenglocken durch Kiezhausen schallen. Ich höre sie gern als Teil unserer lockeren nachbarschaftlichen Gemeinschaft. Aber folgen, hinein ins prächtige mächtige Gotteshaus, möchte ich ihnen nicht. Warum auch? Um Erleuchtung zu finden? Das leuchtet mir nicht ein.

Natürlich gibt es keine Ankunft ohne Herkunft. Meine Eltern haben mich unchristlich erzogen, und in der sozialistischen Schule hatte man es nicht so mit Helden, die nicht der führenden Partei der Arbeiterklasse angehörten. Aber diese Prägungen müssen nicht für immer vorhalten in einem ja auch sonst an Überraschungen reichen Leben in Berlin. Einige meiner Freunde und erstaunlich viele meiner Kollegen sind Christen, manche aus theoretischer Überzeugung, einige aus praktischer Leidenschaft.

Viele Götter, wenig Frieden

Und wer durch Berlin mit offenen Augen und offenem Gemüt geht, kann schnell erkennen und anerkennen, dass es viele Götter unter dieser Sonne gibt, die Menschen Trost, Hilfe und Schatten spenden. Aber warum, um Himmels willen, betet man sie an, diese Kunstfiguren und ihre Litaneien aus oft althergebrachten Märchensagen? Warum werden Geschichten zu Göttern modelliert und für immer und ewig in Gesänge gepresst oder in Stein gehauen, warum werden für sie sogar Kriege geführt? Warum hat man Göttern und den Institutionen, die sie tragen und an ihnen verdienen, einen Dienst zu erweisen? Bei einer Antwort auf diese Fragen bin ich nie angekommen. Schon die Institution Kirche ist mir suspekt, und zwar nicht einmal wegen ihrer einstigen Verbrechen und früheren Skandale. Mir ist unverständlich, warum in einer säkular organisierten Demokratie die Kirche so viel Macht hat. Die Mitgliedsbeiträge der schrumpfenden Glaubensgemeinschaften werden seltsamerweise von den staatlichen Finanzämtern miteingezogen (nach dem Umbruch wurden übrigens erst einmal alle Ostdeutschen zwangseingemeindet und mussten bis zu einem Stichtag wieder austreten, obwohl sie selbst nie eingetreten waren).

Vertreter der Kirchen bestimmen auch in Rundfunkräten über das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit, warum, in Gottes Namen? Und in Parteien, insbesondere jenen mit dem Buchstaben C, haben die Kirchen solch einen starken Einfluss auf die politische Kultur, dass Politiker immer mal wieder dem ganzen Land einen christlich-abendländischen Leitbegriff aufzudrücken versuchen. Das alles geht zu weit, und auch wenn es mich nicht direkt in meiner Freiheit, nicht zu glauben, beschränkt, so beengt es mich doch. Kirche kann gerne Ergänzung unseres Lebens sein, aber sie muss auch wegzudenken sein dürfen.

Beeindruckt vom ersten Gottesdienst

Ja, ohne Glaube fehlt mir was. Ich merke, dass manche mir diese Hoffnung auf etwas Überirdisches voraushaben. Doch auch wenn ich den ersten Gottesdienst (zu dem mich einmal meine Oma mitnahm, weil sie Deutschland schon vor der DDR erlebt hatte) beeindruckend fand. Auch wenn ich christliche Hochzeiten und Beerdigungen immer feierlicher und wegen ihrer (wenn auch zuweilen künstlichen) Aufladung würdevoller finde. Auch wenn ich die im wahren Sinne aufopferungsvolle Arbeit vieler Geistlicher und Geistreicher in der Sozialarbeit und der Flüchtlingshilfe bewundere. Auch wenn ich viele inspirierende Pfarrer insbesondere in öder werdenden Landstrichen getroffen habe.

Auch wenn ich bei jeder Auslandsreise mir gerne Friedhöfe und Kirchen ansehe, um Kultur und Geschichte besser zu verstehen. Auch wenn ich den neuen Armenpapst als Bereicherung empfinde. Auch wenn ich das gemeinschaftliche Singen mag und womöglich deshalb Fußballfan geworden bin (für manche ist ja das Pokalfinale am nächsten Sonnabend in Berlin der wahre Kirchentag).

Wenn ich also der Kirche auch als Institution viele gute Taten abgewinnen kann und manche innere Reform zugestehen will – ein gemeinsam gesprochenes Gebet zu einer höheren Macht kommt mir albern und anmaßend zugleich vor. Und eine überirdisch inszenierte Beichte erscheint mir einfach nur unterirdisch.

Glaubensrituale wie Fahnenappelle

Ja, vielleicht irritieren mich die Rituale des Glaubens am meisten. Womöglich, weil sie mich in gewisser Weise an die Fahnenappelle aus früheren Zeiten erinnern.

Viele erzählen, sie finden durch das Singen, Tanzen, Lachen, Reden, das sich gemeinschaftlich an ein Außen richtet, leichter zu ihrer eigenen Mitte. Ich beneide sie darum, weil ich mir diesen Weg anders bahnen muss. Aber es ihnen deshalb gleichzutun, mich an Weihnachten oder noch öfter im Jahr heilig, heilig, heilig berieseln zu lassen oder mich am Kirchentag plötzlich in Jesuslatschen glücklich zu fühlen, weil ich in Gesellschaft über das Leben nachdenke, das käme mir nicht in den Sinn.

Geht ein Zwiegespräch mit mir nicht auch einfach ohne Gott? Das Schwere wird dadurch nicht leichter. Aber für mich ist es leichter zu verstehen. Ich mache mir gerne selbst einen Reim; ganz ohne Psalm. Die Bibel ist ein tolles Geschichtenbuch, Jesus eine großartige literarische, historisch herausragende Figur. Aber man kann auch ohne sie und angeblich von Göttern geschaffene Gebote versuchen, ein guter Mitmensch zu sein. Jeder nur ein Kreuz? Für mich bitte keins.

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