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© André Rival/ Deutsche Oper.

Kirsten Harms: "Hier herrscht Aufbruchstimmung"

Intendantin Kirsten Harms spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über ihren "Tannhäuser" und ihre Zukunft an der Deutschen Oper Berlin.

Frau Harms, heute gibt es wesentlich mehr Dirigentinnen, Komponistinnen und Regisseurinnen als vor zwanzig Jahren. Hat sich die Emanzipation endlich auch in der Oper durchgesetzt?



Zumindest kann man heute in keinem Bereich mehr auf Frauen verzichten. Als ich anfing, Regie zu führen, war das noch anders. Das war die Zeit von „Frau am Steuer“-Witzen, und ich erinnere mich an Podiumsdiskussionen, auf denen ernsthaft die Frage gestellt wurde, ob Frauen überhaupt Regie führen können. Mir wurden damals Fragen gestellt wie: Wie kommen Sie als Frau mit der Technik zurecht? Oder: Muss man Haare auf den Zähnen haben, um sich durchzusetzen?

Und? Muss man das?

Für mich hat es nie dieses Autoritätsproblem gegeben – vielleicht weil ich schon als Kind viel mit Jungs gespielt habe und es daher für mich keine neue Rolle war, eine Horde anzuführen. Ich glaube aber, dass Frauen es heute tatsächlich leichter haben, weil in den letzten zwanzig Jahren ein generelles Umdenken in der Gesellschaft stattgefunden hat: Statt Aggression ist bei Führungskräften heute mehr Umsicht und Überzeugungskraft gefragt. Bei unserem China-Gastspiel im Herbst habe ich von hohen Unternehmern gehört, dass dort inzwischen Frauen für Leitungspositionen bevorzugt werden, weil die Unternehmen dann größere Gewinne machen. Das hängt sicher mit der größeren Neigung zur Integration bei weiblichen Führungskräften zusammen.

Die Gleichberechtigung ist also erreicht?

Ganz so weit würde ich nicht gehen. In den wirklichen Führungspositionen stehen Frauen noch immer unter starkem Beschuss. Wenn es um die Macht geht, werden plötzlich ganz schnell die Ebenen gewechselt. Zum Beispiel bei der Berichterstattung über die Kanzlerin: Da schweift man gern vom Sachthema zu Kleidung und Frisur ab. Abfällige Bemerkungen werden in den Medien auch über mich gemacht. Aber ich nehme das sportlich. Jeder, der sich in die Öffentlichkeit begibt, muss auch mit eher persönlichen, also unsachlichen Angriffen rechnen.

Sehen Sie sich in der Pflicht, Frauen als Opernregisseurinnen zu fördern? Sie haben ja mit Katharina Wagner und Tatjana Gürbaca schon zwei Nachwuchsregisseurinnen an der Deutschen Oper präsentiert, und Puccinis „Trittico“ war ursprünglich sogar als Dreifrauenprojekt geplant.

Katharina Thalbach wird hier in der nächsten Spielzeit inszenieren – nicht weil sie eine Frau ist, sondern weil ich sie für eine tolle Regisseurin halte. Mich interessieren junge Talente, dabei ist mir relativ egal, ob sie dem männ lichen oder weiblichen Geschlecht angehören. Quotendenken gibt es hier nicht, mich reizt die Entdeckerlust – auch wenn das Risiko dabei immer wieder groß ist. Ich will nicht nur die immer gleichen, bewährten Namen präsentieren. Stars sind wichtig – aber ebenso die Nachwuchs förderung, das künstlerische Wagnis.

Sehen Sie so etwas wie einen gemeinsamen Nenner weiblicher Opernregie? Oder wurde der Erfolg mit Anpassung an die männlichen Vorbilder erkauft?

Da gibt es keine einfache Antwort. Für mich kann ich schon in Anspruch nehmen, dass ich Konflikte anders zeichne als viele meiner männlichen Kollegen. Der „Tannhäuser“ ist ein gutes Beispiel.

Inwiefern?

Viele sehen das Stück als Entscheidungskonflikt des Mannes zwischen der Heiligen und der Hure. Diese Ebene mag für das 19. und 20. Jahrhundert spannend gewesen sein, doch ich glaube, dass das Stück viel Grundsätzlicheres über das Wesen der Liebe aussagt. Mich interessieren die archetypischen Konstellationen im Verhältnis von Mann und Frau, die dem Glück entgegenstehen. Die Figuren zerbrechen letztlich alle an einem wirklichkeitsfernen Frauenbild: Die Frau soll sexuell attraktiv sein, aber zugleich ein ein sames keusches Ideal bleiben. An diesem unüberbrückbaren Zwiespalt zerbrechen Tannhäuser und Wolfram ebenso wie Venus -Elisabeth. Es war für mich deshalb konsequent, dass eine Sängerin beide Facetten dieses Frauenbilds verkörpert.

Aus diesem Dilemma gibt es keinen Ausweg?

Als ich mit meiner Arbeit begann, hatte ich vor, eine Lanze für die Nächstenliebe zu brechen. Die echte wie die poetische Liebe sind doch die Mangelerscheinungen unserer Gesellschaft, und im Stück entdeckt Elisabeth durch ihr eigenes Leid ihre Fähigkeit zum Mitgefühl. Das hat sich im Verlauf der Proben allerdings etwas eingeschwärzt, weil uns klar geworden ist, dass Tannhäuser und Elisabeth zwar jeder wahnsinnig für ihre Liebe kämpfen, aber dabei den anderen in seiner Art überhaupt nicht verstehen. Sie kämpfen gewissermaßen aneinander vorbei, und deshalb kann es für sie auch keine Erfüllung geben. Das hat mich sehr an Strauss’ „Danae“ erinnert, wo Jupiter am Ende feststellen muss, dass er die tiefe Liebe verpasst hat, weil er sein ganzes Leben hindurch abgelenkt war.

Das hört sich nach modernem Beziehungselend an: Spielt Ihr „Tannhäuser“ im tristen Einfamilienhaus?

Ich fand es passender, diese modernen Konflikte in einer spätmittelalterlichen Bilderwelt zu zeigen. Ritter, Tod und Teufel taugen heute noch ebenso gut als farbkräftige Projektionsflächen wie zu Wagners Zeit. Es geht ja nicht um ein realistisches Drehbuch, sondern um die Bilder, die durch die Sehnsüchte und das Unter bewusstsein der Figuren erzeugt werden.

Der „Tannhäuser“ ist Ihre dritte Regie arbeit als Intendantin. Haben Sie das Gefühl, dass ihr Führungsstil inzwischen das Klima am Haus geprägt hat?

Ich glaube, dass sich der Umgang mit einander am Haus in den letzten Jahren tatsächlich wesentlich geändert hat. Viele Aufgeregtheiten haben sich gelegt, die Sache steht im Vordergrund. Ich finde manchmal vor allem die Kollegen wertvoll, die mit ihrer ehrlichen Meinung nicht hinterm Berg halten oder auch mal die Fassung verlieren, weil sie etwas bedrückt. Leidenschaft ist wichtiger als falsch interpretierter Respekt – ich sehe mich nicht als ergrauten Amts- oder Würdenträger, sondern als Teil eines noch relativ jungen Teams. Inzwischen sind alle Schlüsselpositionen mit starken, teilweise sehr unterschiedlichen Persönlichkeit meiner Wahl besetzt. Wir diskutieren immer wieder in großer Offenheit – und manchmal verzögern sich dadurch Entscheidungen. Aber die Mühe lohnt sich. Die Leute fühlen sich nicht überfahren, auch wenn ich am Ende eine Entscheidung treffe, die es nicht allen recht machen kann.

Das klingt, als ob erst jetzt die Grundlagen für eine langfristige Arbeit gelegt seien.

Ja, jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir wirklich kreativ durchstarten. Es dauert seine Zeit, bis so ein Riesenhaus neu aufgestellt ist. Hier herrscht Aufbruchstimmung: Nehmen Sie nur den Chor, der mit William Spaulding gerade zum „Chor des Jahres“ gewählt worden ist. Oder die Dramaturgie, die für ihren Spürsinn – nach anfänglicher Skepsis – mit dem Titel „Ausgrabung des Jahres“ belohnt wurde. Und unser designierter Generalmusik direktor Donald Runnicles ist gerade die Verstärkung, die wir noch brauchen.

Dennoch wird in der Presse Ihre Vertragsverlängerung über 2011 hinaus infrage gestellt.

Bis zur „Tannhäuser“-Premiere am 30. November nehme ich mir die Freiheit, mich nicht an diesen Spekulationen zu beteiligen. Ich konzentriere mich auf das Künstlerische. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich mir vorstellen kann, das Haus auch nach 2011 weiterzuführen, dann ist die Antwort Ja.

Das Gespräch führte Jörg Königsdorf.

Kirsten Harms, geb. 1956, ist seit 2004 Intendantin der Deutschen Oper Berlin, zuvor war sie acht Jahre Opernchefin in Kiel. Ihr bisheriges Wirken an der Bismarckstraße ist nicht unumstritten, vor allem seit der Debatte um ihre zeitweilige Absetzung von Hans Neuenfels’ religionskritischer Idomeneo-Inszenierung 2006. Auch wurden ihre eigenen Inszenierungen, Alberto Franchettis Germania und der Doppelabend Cassandra/Elektra, zwiespältig aufgenommen. Demnächst wird über die Verlängerung ihres Vertrages über 2011 hinaus entschieden. Am 30. November hat mit Wagners Tannhäuser ihre dritte Inszenierung am eigenen Hause Premiere. Am morgigen Sonnabend findet ab 10 Uhr eine öffentliche Probe statt, die von Kirsten Harms moderiert wird. Der Eintritt ist frei.

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