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Tönesammler. Peter Cusack horcht seit einem halben Jahr die Stadt ab.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Klangkunst: Die Knatterdrachen von Tempelhof

Der Klangkünstler Peter Cusack hat die Lieblingsgeräusche der Berliner eingefangen. Ein Hör-Spaziergang mit dem Briten.

Der Fisch ist gut, das Brot auch. Aber vor allem geht Peter Cusack wegen des Akkordeonspielers gerne in die Markthalle von Moabit. „Er spielt immer nur ein Lied“, erzählt Cusack. Mit ein paar Variationen. „Muss ihm etwas bedeuten, dieses Lied.“ Ausgerechnet jetzt bedeutet ihm aber wohl die Mittagspause mehr. Denn das Klappstühlchen ist leer, das Instrument steht auf dem Boden. Still ist es dennoch nicht. Ein Verkäufer wirft Buletten ins heiße Fett, es zischt, nebenan brummt die Kühltheke vom Fleischer. Hinter uns dudelt das Radio der Töpferin. Je mehr der britische Musiker und Klangkünstler über seine spezielle Wahrnehmung erzählt, desto dichter rückt die Umwelt an einen selbst heran, vielstimmig, rhythmisch, dissonant, laut und leise. Willkommen in Cusacks Welt, gehört mit anderen Ohren.

Cusack ist Stipendiat des DAAD-Künstlerprogramms. Ein Jahr verbringt er in Berlin, gerade ist Halbzeit. In den siebziger Jahren hat Cusack das London Musicians’ Collective mitbegründet und geleitet, eine Plattform, die sich um die Förderung von experimenteller Musik kümmert. Außerdem spielte er unter anderem mit David Toop, einem Altmeister der improvisierten Musik in dem Avantgarde-Quartett Alterations. Er produziert Beiträge für das britische Künstlerradio Resonance FM, spielt das türkische Zupfinstrument Baglama und lehrt in London am College of Communication und an der University of the Arts. Doch seine meiste Zeit verbringt Peter Cusack damit, Klanglandschaften aufzunehmen. Er ist ein Tönesammler, er hört nicht, er lauscht. „Meistens habe ich ein Aufnahmegerät dabei“, sagt Cusack.

Zurzeit arbeitet er an der Fertigstellung einer CD und eines Buches zu seinem Projekt „Sounds From Dangerous Places“. Dafür hat Cusack seine Mikrofone an Orten aufgestellt, die extremsten Umweltbelastungen ausgeliefert sind, in den verstrahlten Zonen Tschernobyls oder an die ausgebeuteten Ölfelder am Kaspischen Meer. Wie klingt es dort? Cusack nennt dieses Vorgehen „Sonic Journalism“, akustischen Journalismus. In Tschernobyl etwa hat er lautes Vögelgezwitscher aufnehmen können, die Wildnis breitet sich aus, denn die Menschen sind weg. Bis auf ein paar wenige, die seit Generationen dort fest verwurzelt sind und nicht mehr weg wollen. Cusack hielt die Gesänge einer Frau fest, die in ihrer Einsamkeit plötzlich angefangen hat zu dichten, aber auch das seltsame Geräusch, das entsteht, wenn man über ein Büchermeer läuft, das den Boden einer verlassenen Schule bedeckt. Der Künstler schafft es politische, soziale und umweltbiologische Fragen akustisch zu bannen.

„Was ist für Sie ein typisches Berliner Geräusch?“, fragt er, als wir unseren Spaziergang zu seinen Lieblingsecken in Moabit fortsetzen, einer Parkanlage zwischen zwei Wohnblöcken. Zilp zilp zilp – machen die Spatzen in den kahlen Bäumen. Tapp tapp tapp – machen unsere Schritte auf dem weichen Boden. Ich erzähle von den Kinderrufen in meinem Hof. „Oh ja“, sagt Peter Cusack, „Kindergeräusche sind sehr typisch für Berlin.“ Im Gegensatz zu London, wo der Künstler 1948 geboren wurde und heute noch lebt. Überhaupt klinge seine Heimatstadt ganz anders als Berlin. Für Cusack sagen Geräusche im urbanen Raum immer auch etwas über die Stadtarchitektur aus. Dass man Berlin mit Kindern verbinde, sei etwa ein Zeichen für viel Freiraum, für Spielplätze und Hinterhöfe. Cusack sucht deshalb immer wieder den Austausch mit Städteplanern, Architekten und Akustikern, denn er ist der Meinung, dass an unseren Geräuschkulissen in den Städten noch vieles verbessert werden könnte.

Die Frage nach dem Lieblingston hat Cusack auch vielen anderen Berlinern gestellt und die Ergebnisse zu der Klanginstallation „Berlin Favourite Sounds“ zusammengestellt. Sie ist auf dem Schlossplatz zu hören. Da plätschern aus den Lautsprechern in den Holzplanken Wellen auf der Spree, da knattern die Drachenflieger auf dem Tempelhofer Feld, da locken die türkischen Gemüseverkäufer mit einem kehligen Billigabilligabilliga!

Das Werk ist Teil eines großen Projekts, das der britische Field-Recording- Experte 1998 in London begonnen hat und damit so erfolgreich war, dass er es in Prag, Peking, Jerusalem, New York und vielen anderen Städten weiterführte. Auf der Internetseite favouritesounds.org hat Cusack alle Töne zu einem großartigen Archiv zusammengestellt. Rote Punkte auf den Satellitenbildern markieren die Aufnahmeorte, klickt man darauf, hört man zum Beispiel die Nachmittagsgebetsrufe in der Altstadt von Jerusalem.

Zusammen mit Studenten der Universität der Künste startet der Engländer demnächst eine Recherche in Berliner Gegenden, die besonders stark vom Wandel betroffen sind. Auf den Industriebrachen der Rummelsburger Bucht wurden teure Wohnungen errichtet. Die Viertel rund um den Flughafen Tempelhof sind seit dessen Schließung aufgewertet worden. Wie klang die Umgebung früher? So wie sich Landschaften verändern, verändern sich auch Klanglandschaften.

„Wer sind Sie?“, fragt die Nachbarin, als wir im Hinterhof von Cusacks Wohnung Fotos vom Künstler schießen. Die Dame hat den Mann noch nie gesehen, das Grüppchen kommt ihr verdächtig vor. „Wissen Sie, ich wohne seit 41 Jahren hier im Haus“, erzählt sie. Cusack versteht kaum Deutsch, aber diesen Satz schon. Seine Augen leuchten auf. Wie gerne würde er sich mit der Nachbarin unterhalten, die offensichtlich gute Ohren hat. Er könnte sie fragen, wie es früher einmal geklungen hat in Moabit.

„Berlin Favourite Sounds“, Schlossplatz, bis 25. Mai

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