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Kultur: Klasse, Masse, Kasse

Spanien feiert den 100. Geburtstag von Salvador Dalí – und sieht den exzentrischen Surrealisten mit neuem Blick

Salvador Dalí entkommt niemand so leicht, schon gar nicht in seinem Jubiläumsjahr. Seine Motive sind Ikonen der Kunstgeschichte, seine exzentrische Erscheinung ist fester Bestandteil der Moderne. Bis heute spalten seine Extravaganzen das Publikum; anders als die beiden anderen großen katalanischen Künstler, Picasso und Miró, ist der Mann mit dem hoch gezwirbelten Bärtchen und den fürs Fotoshooting stets exaltiert aufgerissenen Augen nicht unwidersprochen in den Olymp der Künste gelangt. Bis heute haftet ihm der Hautgout an, doch nur ein großer Geschäftemacher zu sein, der seine in jungen Jahren erfolgreich entwickelten Motive zum Transmissionsriemen reiner Gewinnsucht gemacht habe.

Höchste Zeit also, ihn zu seinem 100. Geburtstag zu rehabilitieren. Zumindest versucht dies die große Jubiläumsausstellung im CaixaForum in Barcelona, die sich mutig seinem Vermarktungswahn widmet und den provozierenden Titel „Dalí. Massenkultur“ trägt. Die Schau dreht den Spieß einfach um und erklärt, was die Kulturelite bisher als degoutant empfand, zur gezielten, ja hellsichtigen Künstlerstrategie. Plötzlich steht Dalí in einer Reihe mit dem Readymade-Ahnherrn Marcel Duchamp und erscheint als Vorläufer des großen Multiplikators Andy Warhol. Die klug eingerichtete Ausstellung installiert den Ungeliebten neu als Schlüsselfigur für das 20. Jahrhundert, jedoch nicht aufgrund seiner Malerei, sondern mittels seiner ungenierten Übergriffe auf Film, Werbung, Modedesign. Der große Selbstdarsteller erfand das Merchandising der eigenen Person und den Crossover, Jahrzehnte bevor man so etwas im Kunstbetrieb zu denken wagte.

Mit Dalí ist also neu zu rechnen; keineswegs ist er, wie bislang in kunstkritischen Kreisen üblich, seit den späten Dreißigerjahren eine zu vernachlässigende Größe. Nach bisher gängiger Betrachtungsweise begann zu diesem Zeitpunkt sein Niedergang, die Phase des „Sunset-Dalí“, der nur noch „tiefe, echte Melancholie“ produzierte, wie André Breton, Kopf der Surrealisten und Zuchtmeister der Pariser Künstlervereinigung, nach dem Rauswurf des enfant terrible konstatierte. Dalí setzte dem schon damals selbstbewusst seine eigene Sicht entgegen: „Der einzige Unterschied zwischen den Surrealisten und mir besteht darin, dass ich Surrealist bin.“

Der Hang zur Selbstüberheblichkeit, die häufig den Blick auf seine tatsächlichen Leistungen verstellt, war eine Konstante in Dalís Leben. Als zweiter Sohn eines kunstsinnigen Notars im Kreisstädtchen Figueras in den Ausläufern der Pyrenäen geboren, machte er schon in jungen Jahren mit Extravaganzen auf sich aufmerksam. Die Erklärung lieferte er 1942 in seiner ausschweifenden und zugleich hoch literarischen Autobiografie „Das geheime Leben des Salvador Dalí“. In die Rolle der Kopie hineingeboren – Dalí erhielt den Namen seines zweijährig gestorbenen, weiterhin überpräsenten Bruders –, musste er permanent um Originalität kämpfen. Die Eltern förderten früh sein Zeichentalent, schickten ihn auf die örtliche Kunstschule und ermöglichten ihm ein Studium an der Madrider Akademie, wo er Federico García Lorca und Luis Bunuel begegnete, doch wegen ungebührlichen Betragens bald wieder gehen musste. Trotzdem nahm er von hier sein Rüstzeug mit, erlernte die für seine spätere Kunst so wichtige Lasurmalerei und machte seine ersten eigenständigen Gehversuche im Stil des Kubismus und italienischen Futurismus.

Den Siegeszug in der Welt der internationalen Kunst aber begann er mit einem Film, mit „Un chien andalou“, den er gemeinsam mit Bunuel 1928, produzierte ein Jahr vor seinem Wechsel nach Paris, und dessen traumwandlerische Motive ihn ins Zentrum der Surrealisten katapultierten. Diese Allianz konnte nicht von Dauer sein, auch wenn sich der Kreis um Bréton für seine „weichen“ Uhren, die brennenden Giraffen und die Schubladen-Venus begeisterte. Dalí war viel zu sehr um sich selber kreisendes Gestirn. 1936 verscherzte er es sich endgültig mit den Surrealisten, als er mit dem Faschismus zu sympathisieren begann und allen Ernstes behauptete, Eisenbahnunglücke erregten sein Entzücken, wenn nur die Passagiere der ersten Klasse verschont blieben. Zu dem Zeitpunkt hatte längst Gala seine Hand über ihm, die aus Weißrussland stammende Ex-Frau Paul Eluards, mit vollem Namen Helena Deluwiana Diakonoff. Seit ihren ersten Begegnungen, ebenfalls Ende der Zwanziger, war sie in Personalunion Muse, Modell und Managerin des Meisters, der sich nie um politisch opportune Meinungen scherte und problemlos erst Franco und dann dem spanischen König huldigen konnte, wenn es nur seinem eigenen Nutzen diente.

Das bedeutete vor allem finanzielle Unterstützung für sein Teatre-Museu Dalí, das er hartnäckig in den seit dem Bürgerkrieg heruntergebrannten Mauern des ehemaligen Stadttheaters von Figueras einrichten wollte. Der Weltmann Dalí, der im Paris der Dreißigerjahre als Verkörperung des Surrealismus galt, in den Vierzigern im amerikanischen Exil als ausgeflipptes Malergenie zum Darling der kalifornischen High-Society avancierte, fühlte sich letztlich nur seiner katalonischen Heimat verbunden. Wer die Region der Empordà bereist, wird feststellen, wie viel seine Malerei der besonderen Ausstrahlung dieser Region verdankt. Die leergefegten Landschaften mit dem flach einfallenden Licht, die bizarren Felsformationen und Küstenbildungen in seinen Bildern, sie alle lassen sich höchst konkret vor Ort wiederfinden. Schon Ende der Zwanzigerjahre hatte sich Dalí mit Gala unweit von Figueras in Port Lligat eine Fischerkate gekauft, die er im Laufe der Jahre zur exotischen Künstlerresidenz umwandelte.

Mit geradezu kindlicher Anhänglichkeit aber wollte er im Zentrum seiner Geburtsstadt sein Opus magnum schaffen, ein Museum als surrealistisches Gesamtkunstwerk. 1974 konnte es endlich, gemäß dem ausgefallenen Geschmack des Gründers begleitet von pompösen Stadtumzügen, eingeweiht werden und bildet seither das Zentrum des „Dalísmus“: Hier residiert die „Fundació Gala-Salvador Dalí“, hier werden die Aktivitäten zum Jubiläumsjahr koordiniert, hierher pilgerten allein 2003 knapp eine Million Menschen; nur der Prado verzeichnet mehr Publikum. Dafür empfängt den Besucher gemäß den Statuten ein unverfälschter Eindruck des „größten surrealistischen Objekts der Welt“.

Im nach wie vor ohne Dach verbliebenen Zuschauersaal stößt er auf eine schwarze Limousine, in deren Innerem es regnet. Das Bühnenprospekt ziert das gigantische Bildnis eines melancholischen Titanen. In einem Seitenkabinett befindet sich der bizarre Mae-West-Saal, bei dem ein rotes Plüschsofa die Lippen der Filmdiva bildet, ein Doppelkamin die Nasenlöcher. Rechts und links gehen scheinbar willkürlich Galerien ab, die teilweise Meisterwerke bergen, teilweise Schund. In der Krypta des Theatermuseums aber ruht der Erschaffer des Ganzen selbst hinter einer marmornen Platte, die in distinguierten Lettern die Inschrift trägt: Salvador Dalí i Doménech, Marquès de Dalí de Púbol. Anfang der Achtziger hatte König Juan Carlos den alternden Künstlerstar noch geadelt. Touristen, Schülergruppen, Seniorenreisende drängen sich vor den von Dalí entworfenen Bijouterien, schieben sich kreuz und quer durch die Säle.

Vor den Toren des mit riesigen Eiern bekrönten Gebäudes treffen sie alle erneut aufeinander: in den Souvenirläden der kleinen Fußgängerzone, wo Dalí-Tassen, -Tücher, -Briefpapier, -T-Shirts en masse feilgeboten werden, dass es für den eigentlichen Urheber eine helle Freude wäre. Der hatte ohnehin die Reproduktion seines Werks nach Kräften vorangetrieben, ja Tausende von Blanko-Unterschriften für Druckgrafiken geleistet. Noch heute leidet der Markt für Papierarbeiten darunter, denn damit war Fälschern Tür und Tor geöffnet, die häufig aus der Umgebung des Künstlers stammten, während die Malerei der frühen Jahre noch immer Spitzenpreise erzielt.

Über seinen Tod hinaus durchmischt Dalí die Begriffe von High und Low. Die Ausstellung im CaixaForum zeigt die zahlreichen Facetten dieses kunstvollen Verwirrspiels. Hauptsache, seine Person stand im Mittelpunkt. Doch auch die neuen Erkenntnisse riskieren den Überdruss, zumal bei einer Ausstellung mit über 400 Objekten. So heiter sich die vom Künstler selbst herausgegebenen Dalí-News auch lesen mögen, die sich ausnahmlos um den Einen drehen. Vom beworbenen Medikament Dalínal, das Hilfe gegen Mittelmäßigkeit, Schwachsinn, Lebensekel, gar Impotenz bietet, kann nur abgeraten werden. Zumal im Jubiläumsjahr besteht die Gefahr akuter Überdosierung.

CaixaForum, Barcelona, bis 23. Mai; anschl. Madrid, Florida, Rotterdam. Katalog 30 €.

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