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Triumph mit Beethoven. Barenboim in der Waldbühne.

© DAVIDS

Klassik: Wie es euch gefällt

20 Jahre allegro con fuoco: Am 1. August 1992 begann die Ära Barenboim an der Berliner Staatsoper. Der Dirigent hat die Staatskapelle in den Olymp der globalen Spitzenensembles geführt, auf Augenhöhe mit den Berliner Philharmonikern und dem Leipziger Gewandhausorchester.

Was für ein Schreck in der Abendstunde! Wir schreiben den 6. Juli, nach dem Schlussakkord des „Don Giovanni“ brandet der Applaus auf im Schillertheater, der Ausweichspielstätte der Staatsoper während der Renovierung ihres Stammhauses. Da gibt Daniel Barenboim ein Zeichen, das begeisterte Publikum schweigt und hört, wie der Maestro zwei Dinge sagt: zum einen, dass er ja nun bald 20 Jahre an diesem Hause arbeite, und zwar sehr gerne, und zum anderen, dass dies sein letzter Auftritt mit der Staatskapelle sei. „Für eine halbe Sekunde erleidet der Operngeher in mir den klinischen Tod. Stille im Opernhaus. In mir ballt sich irgendwo etwas in Stecknadelkopfgröße zusammen: Splitter von Barenboim-Sternstunden, Parsifal und Tristan. Sterbende erleben so was. Wildfremde Leute wispern sich zu: ,Hat er jetzt gesagt, dass er geht?’ Wo ist Flimm!“

So resümiert ein Blogger namens „Schlatz“ noch in derselben Nacht auf der Website http://konzertkritikopernkritikberlin.worldpress.com, was den Fans in diesem Moment durch den Kopf geht. „Auf dem Nachhauseweg haben wir diskutiert und diskutiert, was er gemeint hat“, schreibt „Mariasto“, „Alina“ findet, „Merkel soll bei Barenboim anrufen und intervenieren“, „Staatsoper Reihe 7“ schickt ein Stoßgebet ins weltweite Netz: „Lieber Gott mach, dass er bleibt!!!“

Natürlich war es nur ein weggelassener Halbsatz, natürlich wollte sich der Künstler lediglich in die Sommerpause verabschieden, meinte also den letzten Auftritt in dieser Saison mit seiner Staatskapelle. Doch der emotionale Sturm, den seine fahrlässige Formulierung auslöste, zeigt, wie heiß Barenboim in Berlin geliebt wird. Seit dem 1. August 1992 amtiert der Klavier spielende Dirigent (oder dirigierende Pianist, je nach Präferenz) an der Spitze der Lindenoper. Anders als im Fall des ewigen Volksbühnenchefs Frank Castorf, anders als damals bei den überlang amtierenden Regisseuren Harry Kupfer oder Götz Friedrich gibt es selbst in der Presse keine Stimmen, die Barenboims hauptstädtische Dauerpräsenz infrage stellen.

Viel hat er für die Staatsoper getan in diesen beiden Jahrzehnten, sehr viel. Hat die Staatskapelle, das stolze Hausorchester, in den Olymp der globalen Spitzenensembles geführt, auf Augenhöhe mit den Berliner Philharmonikern und dem Leipziger Gewandhausorchester, ohne sie ihres ganz eigenen Klangs zu berauben. Warm, weich, dunkel ist dieser Sound, und wenn man definieren sollte, was denn nun dieser „typisch deutsche“ Orchesterklang sei, dann kann man heute eher auf die Staatskapelle verweisen als auf die stilistisch so virtuos wendige Truppe von Simon Rattle.

Enorm, was Barenboim mit dem Orchester in den zwei Dekaden alles auf CD veröffentlich hat. Da sind die Opern, „Fidelio“, „Der Fliegender Holländer“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Elektra“, „Wozzeck“, Busonis „Brautwahl“, dazu auf DVD „Così fan tutte“, „Figaros Hochzeit“, „Otello“ und Massenets „Manon“. Aalle Sinfonien von Beethoven und Schumann, Monumentalwerke Mahlers und Bruckners, diverse Klavierkonzerte. Die vor 442 Jahren als Hoforchester gegründete Staatskapelle versteht sich ebenso als sinfonische Formation wie als Musiktheatertruppe. Barenboim hat seine Musiker stets in dieser Haltung bestärkt, den Namen der Staatskapelle durch unzählige Tourneen in die Welt getragen.

Mit Barenboim ist die Staatsoper seit 1992 kontinuierlich gewachsen, nicht allein künstlerisch, sondern auch im Budgetbereich. Dass er für seine Musiker 2000 bei Gerhard Schröder eine „Kanzlerzulage“ in Höhe von jährlich 1,8 Millionen Euro rausholte, verübeln ihm die anderen Opernorchester bis heute. Ohne den direkten Draht ins Kanzleramt wäre es wohl auch mit der Generalsanierung der Staatsoper nichts geworden, zu der der Bund 200 Millionen Euro beisteuert.

Am 15. November wird Daniel Barenboim 70 Jahre alt, seit seinem Debüt 1950 absolviert er pro Jahr so viele Auftritte wie kaum ein anderer Klassikstar. Wie er das durchhält, rein physisch, bleibt ein Naturwunder. Der Berliner Staatsoper, so viel steht fest, wird er erhalten bleiben. Vor wenigen Monaten erst hat er seinen Vertrag bis 2022 verlängert, den Ehrentitel eines „Dirigenten auf Lebenszeit“ haben ihm seine Staatskapellen-Musiker schon 2006 verliehen. Frederik Hanssen

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