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Kultur: Klebrige Krokusse

KONZERT

Frühlingserwachen könnte die clevere Programmidee des Konzerts der Berliner Symphoniker unter der Leitung von Lior Shambadal bei ihrem Konzert in der Philharmonie gelautet haben: eine Reise vom frostigen Symphoniefragment des todesnahen Schubert über Mahlers frühe Lieder bis zu Schumanns Erster Symphonie, die der junge Robert im „Frühlingsdrang“ von nur vier Wochen aufs Papier warf. Doch wie auf Geheiß des allgemeinen Klimawechsels gerät was knacke kalt oder leidenschaftlich warm hätte werden können, eher lau: Schuberts „Zehnte Symphonie“, deren langsamen Mittelsatz man als bizarre Eislandschaft zeigen kann, lässt der Chef der Symphoniker eher weinerlich zerschmelzen. Winterschläfrig klebt dabei das Streichertutti an den Noten, so dass die Einzelleistungen engagierterer Bläsersolisten wie Krokusse wirken, die die Schneedecke durchstoßen – am schönsten blüht dabei der butterweiche Klarinettensound von Felix Löffler. Auch mit Mahlers Liedern in der farbigen Orchesterbearbeitung von Luciano Berio, in denen es immerhin um „Lust“ und „Frühlingsmorgen“ geht, können die Symphoniker keine Lebensgeister wecken. Erst in der zweiten Serie der „Frühen Lieder vor 1892“ variiert Markus Brück in seiner kernigen, opernhaften Stimme und lässt einen entfernten Liebeshauch erahnen. Mit Schumanns „Frühlingssymphonie“ allerdings tauen die Symphoniker auf. Plötzlich kommt ungeahnte Leidenschaft auf, die zeigt, welche Kräfte im Orchester schlummern. Manchmal kommt der Frühling eben etwas später.

Joscha Schaback

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