zum Hauptinhalt
Stehen zur Verfügung. Von links: Regisseur Sobo Swobodnik, Filmmusiker Carl Luis Zielke, Mit-Drehbuchautor und Tonmann Eckhard Geitz sowie Cutter Manuel Stettner.

© Sobo Swobodnik

Sobo Swobodniks Doku "Sexarbeiterin": Kleine Massage gefällig?

Crowdfunding fürs Happy End: Um ihren Dokumentarfilm über eine Sexarbeiterin zu finanzieren, bieten der Regisseur Sobo Swobodnik und sein Team erotische Dienstleistungen gegen Geld an.

„Good vibes sind meine Leidenschaft. Wer darauf steht, ist bei mir in guten Händen,“ schreibt der Musiker Carl Luis Zielke. Für 300 Euro bietet der attraktive Bartträger Tantra- und Erotikmassagen an, für Männer oder Frauen, in Berlin.

Oder, für Genießer mit etwas größerem Budget: eine Stunde „Carework“ mit Eckhard Geitz. Der smarte Drehbuchautor und Tonmann bietet Männern in Kassel oder Berlin eine erotische Massage „mit Happy End“ an. Kostenpunkt: 500 Euro.

Na, wie wär’s? Ist auch für einen guten Zweck!

Aber von vorn. Die Problematik ist ja immer dieselbe: Menschen wollen einen Film machen, haben aber nicht genug Geld dafür. Schön, dass es die Möglichkeit gibt, über Internetplattformen Spenden für das eigene Projekt zu sammeln – Crowdfunding heißt das bekanntlich, ist längst weit verbreitet und eigentlich keine Nachricht mehr wert. Zuletzt haben sechs Berliner Regiestudenten unter dem Titel „New Films on the Block“ 15.000 Euro für ihre Abschlussfilme zusammengeworben.

Das Ziel: 10.000 Euro

Wenn ein Filmteam allerdings zur Finanzierung einer Dokumentation über eine Sexarbeiterin selbst erotische Dienstleistungen anbietet, fällt das dann doch aus dem üblichen Crowdfunding-Rahmen. Carl Luis Zielke und Eckhard Geitz sowie der Cutter Manuel Stettner (Telefonsex, Webcam-Sex oder Massage) gehören zum Team des Regisseurs Sobo Swobodnik. Gemeinsam porträtieren sie die Berlinerin Lena Morgenroth, die erotische Massagen, Tantramassagen und SM anbietet. Die Dreharbeiten sind beendet, aber für die Postproduktion (Schnitt, Mischung, Vertonung, Farbkorrektur) werden noch 10.000 Euro benötigt. Noch bis Donnerstag, 26. September, können Unterstützer unter der Adresse www.startnext.de/sexarbeiterin spenden. Wenn sie wollen, gegen eine mehr oder weniger erotische Dienstleistung..

Die Protagonistin. Lena Morgenroth engagiert sich für die Rechte von SexarbeiterInnen. Sie sagt: "Was ich tue, mache ich freiwillig."
Die Protagonistin. Lena Morgenroth engagiert sich für die Rechte von SexarbeiterInnen. Sie sagt: "Was ich tue, mache ich freiwillig."

© Sobo Swobodnik

Es gibt auch züchtige Angebote. Ein „Kuss aus der Ferne“ für fünf Euro, ein signiertes Filmplakat für einen Zwanziger, die Namensnennung im Abspann für 500 Euro. Regisseur Swobodnik bietet einen „Begleitservice“ an, drei Stunden „für alle Geschlechter“ in Berlin, „ Familienfeier, Firmenessen, Beerdigung, Klassentreffen“, kein Sex, 200 Euro.

Was, kein Sex? „Ich wollte es auch anbieten,“ sagt der Regisseur am Telefon, „aber für mich ist es nicht möglich.“ Das Team hat extra einen Tantra-Massageworkshop absolviert, ganz unvorbereitet wollte man seine Dienste nicht anbieten. Und da merkte Swobodnik: geht nicht. Dann eben reden. Oder er schreibt einen „poetischen oder erotischen Brief (oder Mail)", für einen Hunderter.

"Es ist nie verkehrt, zu wissen, wovon man spricht"

Warum diese Aktion? Ein PR-Stunt? Nein, Sowobodnik ist da sehr bestimmt. Es gehe nicht nur darum, Geld für den Film zu bekommen. Dass die Teammitglieder zeitweilig quasi Kollegen von Lena Morgenroth werden, sei auch eine Form der künstlerischen Annäherung. Kurz gesagt: „Es ist nie verkehrt, zu wissen und zu erfahren, wovon man spricht.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Sobo Swobodnik, Jahrgang 1966, schreibt Kinderbücher, Krimis und Romane, dreht Spiel- und Kurzfilme. Aber vor allem ist er Dokumentarfilmer. Für „Der Papst ist kein Jeansboy“, sein Porträt über den Schauspieler Hermes Phettberg, bekam Swobodnik 2012 den Max-Ophüls-Preis für den besten Dokumentarfilm. Für „Leben: Unplugged“ begleitete er 2013 das Straßenmusiker-Duo Guaia Guaia (dessen eine Hälfte Carl Luis Zielke ist). Und für die Doku „Silentium“, die 2015 ins Kino kommt, setzte er sich, als Ungläubiger, der Stille und den Ritualen des Klosterlebens aus. Swobodnik interessiert sich für Aussteiger und Außenseiter, und es ist sein Anspruch, ihnen nahe zu kommen.

So ist es auch mit Lena Morgenroth, die nicht nur im diskreten Kämmerlein massiert, sondern als Branchenaktivistin schon mal bei Günter Jauch auftritt. Auf diese Weise wurde Swobodnik denn auch auf sie aufmerksam. Mit seinem Team dokumentiert er Morgenroths Alltag, übrigens in schwarz-weiß, „da ist nichts schmuddelig“. Er zeigt Familienabende, einen Kletterabend mit dem Freund, einen Besuch bei alten Kommilitonen ebenso wie Tantra-Massagen und SM-Sessions mit Kunden. Und fragt: Wie passt das alles zusammen? Welche Konflikte gibt es? Wie lebt es sich in einer Gesellschaft, die Sexarbeit zwar regelmäßig nachfragt, aber ebenso zuverlässig stigmatisiert?

Gegen Unwissenheit und Spekulation

Der Film zeigt Lena Morgenroths Alltag, Familienabende und Zoobesuche ebenso wie Tantra-Massagen und SM-Sessions mit Kunden. Und fragt: Wie passt das alles zusammen? Welche Konflikte gibt es?
Der Film zeigt Lena Morgenroths Alltag, Familienabende und Zoobesuche ebenso wie Tantra-Massagen und SM-Sessions mit Kunden. Und fragt: Wie passt das alles zusammen? Welche Konflikte gibt es?

© Sobo Swobodnik

Der Regisseur will eine „profunde Innensicht“ ins Leben dieser reflektierten, eloquenten Frau geben, will „Spekulationen, Un- und Halbwissen etwas entgegensetzen“. Schließlich existierten zum Thema kaum belastbare Zahlen, SexarbeiterInnen kämen in der Debatte nur selten zu Wort, ebenso wenig WissenschaftlerInnen und SozialarbeiterInnen, kritisiert Swobodnik. Natürlich gibt es SexarbeiterInnen, die missbraucht und entrechtet werden. Klar ist aber auch: „Es gibt die typische Sexarbeiterin nicht. Sie sind so heterogen, wie es auch die Kunden sind.“
Der Film soll darum nicht repräsentativ sein, nicht journalistisch ausgewogen alle Facetten des Themas zeigen. Er soll der moralisch erregten und vorurteilsbehafteten Öffentlichkeit (und Alice Schwarzer) beweisen, dass Menschen, die Sexarbeit anbieten, komplexe und selbstbestimmte Persönlichkeiten sein können. Darin könne die Doku geradezu ein „Lehrfilm“ sein. Im Trailer sagt Lena Morgenroth über sich: "Ich bin nicht die ausgebeutete, schutzbedürftige Person. Man muss mich nicht zu meinem eigenen Wohl aus den Fängen von Menschenhändlern befreien. Was ich tue, mache ich freiwillig und aus eigenem Antrieb." Kein Grund, ihr das nicht zu glauben.

Und die Angebote? Noch läuft die Crowdfunding-Aktion. Fast 9000 Euro sind bisher zusammengekommen, „ideologische Unterstützung“ nennt Sobo Swobodnik das. Er muss drei erotische Briefe schreiben und einen Begleitservice leisten. Auffällig: Noch wurde keine einzige sexuelle Dienstleistung des Teams gebucht, auch kein „professionell produzierter Pornofilm mit DIR als Star“ (700 Euro) und keine „gefilmte erotische Massage mit DIR und Lena“, die dann in den Film geschnitten wird (1000 Euro). Aber wer weiß – vielleicht haben Sie ja jetzt Lust bekommen?

Update 24. September 2014, 15 Uhr: "Sexarbeiterin" hat das Funding-Ziel von 10.000 Euro erreicht, zwei Tage vor Ablauf der Frist. Massagen vom Team wurden allerdings immer noch keine gebucht. Die Crowdfunding-Aktion endet am 26. September um 23.59 Uhr, bis dahin sind weiterhin Spenden möglich.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false