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Berlinale: Kleiner Film, was nun?

In der Kurzfilm-Reihe SHORTS wurden die ersten Bären vergeben. Eigentlich muss der Kurzfilm Kunst sein, doch häufig verkommt er zur Visitenkarte für spätere Langfilme

Sie sind Kinder und gebärden sich wie Erwachsene; er trägt ein weißes Unterhemd und stiert in den Fernseher, sie bereitet das Essen. Damit haben die beiden Protagonisten aus „Haze“ Symbolwert für die gesamte „Shorts“-Sektion, der sie entstammen. Ernst geben sich die Berlinale-Kurzfilme, ganz so, als hätten sie das Spielen verlernt. Schon in der Themenwahl steckt die Moral. Im rumänischen Film „O zi buna de plaja“ , am Dienstag mit dem Goldenen Kurzfilm-Bären ausgezeichnet, poltert ein gelber Lieferwagen die Straße zum Strand herunter, wie ein Koffer, der einem Menschen aus den Händen geglitten ist; es sitzen drei Jungen am Steuer, hinter ihnen liegen zwei gefesselte Menschen.

Gewalt sei ein Thema, das sich durch viele der 1700 Einreichungen gezogen habe, bestätigt Maike Mia Höhne, Kuratorin der neu geschaffenen eigenen Sektion. Ein anderes sei die Natur. Sie ist eine versehrte und vermisste; in „Reise zum Wald“, der Weihnachtsbäume nach ihrem Verfallsdatum zur Jahreswende zwischen Bilder von dichten Kronen und mächtigen Stämmen schiebt, genauso wie in „White horse“. Dort fährt einer zurück nach Tschernobyl, wo er aufwuchs, in der verwaisten Wohnung hängt immer noch das alte Pferdebild, der Rückkehrer streichelt seine Nüstern, die Kamera hält still. So eindrucksvoll dieser Film ist, es scheint, als seien die Regisseure angesichts der Wirklichkeit scheu geworden: Wenn sie schon so fürchterlich ist, wie kann man da noch Fiktion wagen?

Und so haben die Filme viel Botschaft und wenig Geheimnis, haben eine deutliche Narration: Siddharta Sinhs „Udedh bun“, Gewinner des Silbernen Bären, etwa erzählt vom Erwachen der Sexualität, und schon im ersten Bild schnitzt der Protagonist hingebungsvoll einen Frauenakt. Kurz darauf wird er eine junge Schöne anschauen, die ihren Rücken wäscht, und dabei wird er das Katzenjunge auf seinem Schoß so vehement liebkosen, dass diesem die Augen hervortreten. Diese 1:1-Abbildung im Futter von starker Symbolik hat ein anderer Siegerfilm erfolgreich gebrochen: In „Frankie“ vom Iren Darren Thornton, prämiert mit dem Prix UIP, geht es um frühe Vaterschaft, der Film ist ein Monolog des Protagonisten, der unablässig einen Kinderwagen mit einer Puppe durch sein Viertel schiebt. Der darin liegende Irrsinn trifft einen tief.

Ein anderer Film treibt das Spiel mit dem Monolog in fast theatraler Inszenierung noch weiter: „Impermanent“ aus Italien zeigt die Deklamation eines Alten über seine Zeit in Lifta, einem palästinensischen Dorf bei Jerusalem; die Kamera fixiert ihn, sein Singsang breitet sich aus im Zuschauerraum.

Hier ist der Kurzfilm Kunst, das Format Programm. Doch so etwas ist rar, es überwiegen Filme, die Visitenkarte für spätere Langfilme sein wollen. Als könnte das Kleine nicht klein bleiben und spielen, sondern müsste unbedingt erwachsen werden. Verena Friederike Hasel

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