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Kultur: Kleiner Kaktus unterm Großen Wagen Max Raabe brilliert in der Waldbühne

Was soll er machen, der Herr Raabe, die Leute lieben ihn. Von Amerika bis Asien, vom Admiralspalast bis in die Waldbühne.

Was soll er machen, der Herr Raabe, die Leute lieben ihn. Von Amerika bis Asien, vom Admiralspalast bis in die Waldbühne. Weil er spricht, wie er singt. Weil er singt, was er zu tragen scheint: erstklassige Maßkonfektion. Beglückt vom Sommerabend und der Aussicht, zumindest an diesem Sonnabend von den lästigen Irritationen und Geschmacklosigkeiten des Lebens verschont zu bleiben, ziehen sie in hellen Scharen in die Freiluftarena: um die 16 000 Omas und Enkel, Kinder und Eltern, Freundeskreise, Paare, der Schwerpunkt liegt bei 50 plus. Allerdings: Bis auf einen Herrn mit Fliege sind sie bestürzend lax gekleidet. Selbst Fans von Max Raabe verwechseln einen Sitzplatz in Block A mit dem Basislager am Nanga Parbat.

Das Heimspiel von Raabe und seinem Palast Orchester, die seit Februar mit dem Album „Küssen kann man nicht alleine“ touren, beginnt Gongschlag kurz nach acht. Die Bühne ist reines Understatement, wie immer: Mikro für den Sänger, kleine Orchesterpodesterie vor schwarzem Vorhang, später bunte Strahler und ein paar Projektionen. Die zwölf Musiker setzen sich, der Meister macht einen tiefen Diener, Applaus brandet auf und der Wortwitz von „Ich bin nur wegen dir hier“ erntet pro Zeile einen Lacher.

Die zärtlich-ironische Nummer stammt vom neuen Album, das Max Raabe zusammen mit der Popmusikerin Annette Humpe geschrieben hat. Das lakonische Titelstück „Küssen kann man nicht alleine“ folgt gleicht nach der nonchalanten Begrüßungsconférence. Orchesterpop, Schlagerpop nennen Raabe und Humpe ihre Fortschreibung der mal witzig-frivolen, mal gefühligen Schlagertradition der Weimarer Republik. Und im direkten Vergleich können ihre Lieder hier tatsächlich neben den reichlich dargebotenen Klassikern von Walter Jurmann und Fritz Rotter, Werner Richard Heymann oder Friedrich Hollaender bestehen.

Letztere sind ein bisschen satter, raffinierter arrangiert, erstere bestechen durch ihre frechen Texte. „Du siehst ganz schön alt aus, wie du dastehst / deine Zeit ist längst vorbei“, attestiert Raabe sich etwa in dem Song „Krise“, ohne die Miene zu verziehen. Groß, wie der soignierte Crooner mit dem schmalen, aber eleganten Tenor sich einer lästigen Mücke erwehrt. Klapp, klatscht er sich ungerührt mitten im Gesang auf die Wange.

Das ist auch schon das einzige Zugeständnis, dass Max Raabe und sein bestens aufgelegtes Orchester an die Örtlichkeit machen. Die stur wie im Konzertsaal eingehaltene halbstündige Pause ist im tief abfallenden Halbrund der Waldbühne eine doofe Idee. Immerhin bleibt Gelegenheit zur Naturbeobachtung: Ein Fledermäuslein flattert wild, der erste Stern flimmert am Firmament.

Im zweiten Teil versinkt Max Raabe, der seine musikalische Nische seit 25 Jahren staunenswert erfolgreich hält, dann etwas zu sehr im Schellack-Museum. Tangos, Pasodobles und Rumbas rauschen perfekt musiziert am Herzen vorbei. Glänzende Unterhaltungsmusik, aber in Aspik. Die vier Zugaben schließlich reißen kurz vor halb elf den langsam abkühlenden Abend herum. Köpfe sinken an Schultern, sachtes Walzerschunkeln geht durch die Reihen und Mitsummen erfüllt die Arena: „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“, hach ja. Bei „Dort tanzt Lulu“ und dem „Kleinen grünen Kaktus“ ist Mitsing- und Mitklatschzeit. Und das betörend dadaesk betextete „Schlaflied“ von Humpe/Raabe schafft endlich das Kunststück, Ironie und Sentiment zu versöhnen. Der Große Wagen leuchtet, ein zauberhafter Moment. Gunda Bartels

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