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Miranda July, Darstellerin und Regisseurin, mit Hamish Linklater.

© Berlinale

"The Future" im Wettbewerb: Kleingeld des Lebens

Miranda July, das 37-jährige Allround-Talent, entwirft in ihrem wunderbar leichthändigen zweiten Spielfilm die Torschlusspanik der Mittdreißiger.

Die Panik ist unüberhörbar: „In fünf Jahren, da sind wir 40. Und 40, das ist fast 50. Was danach kommt, ist nur noch das Kleingeld im Leben.“ Da waren doch einmal so große Pläne. Berühmt werden. Etwas Wichtiges tun. Die Welt retten. Zum Beispiel. Oder zumindest eine streunende Katze. Doch jetzt tickt die biologische Uhr, auch wenn es sich um einen digitalen Wecker handelt. Was also tun: Die Zeit anhalten? Noch einmal neu beginnen? So leben, als ob dieser Monat der letzte wäre? Oder zumindest einmal die Internet-Verbindung kappen?

Sophie und Jason heißt das Paar. Glücklich in den gemeinsamen Alltag hineingewachsen, der da Zusammenleben heißt, in einer sympathisch verwohnten Wohnung in Los Angeles. Jetzt herrscht ein angenehm dämmriger Schwebezustand, viel passiert nicht in der Beziehung, außer dass man gemeinsam am Nachmittag auf dem Sofa sitzt und Spielchen spielt: Kannst Du mit deinen Gedanken die Zeit anhalten? Oder zumindest den Wasserhahn aufdrehen? Dass man sich wenig später an diese langweiligen Gemeinsam-Stunden erinnern würde, als ob es das größte Glück des Lebens gewesen wäre, das ahnt dieses Paar noch nicht.

Was beide nämlich nicht wissen, ist: Der Erzähler, der Bestimmer über ihr Schicksal, das sind gar nicht sie. Gott ist es auch nicht. Sondern eine Katze namens Pfötchen, das die beiden aufgelesen und in die Tierklinik gebracht haben. Da wird sie nun behandelt, einen Monat lang. Danach wird sie kommen und das Leben von Sophie und Jason ändern. Besser, man nutzt die Zeit vorher noch einmal richtig aus, steigt aus aus dem Berufsleben als Computer-Doktor oder Kinderballettlehrerin. Versucht zumindest noch ein paar Bäume zu pflanzen, um das Weltklima zu retten, oder einen Tanz auf Youtube zu veröffentlichen. Oder man probiert noch mal schnell ein anderes Leben aus, Vorortglück mit Kind und Villa.

Miranda July, das 37-jährige Allround- Talent, spielt Sophie, diesen Luftgeist, der des Nachts die Wildkatze in sich entdeckt. Doch als sie dann endlich richtig zu tanzen beginnt, ist alles zu spät. Denn die Torschlusspanik der Mittdreißiger, die sie in ihrem wunderbar leichthändigen zweiten Spielfilm entwirft, ist nur allzu bekannt: die Ahnung, dass die Zeit abläuft, fürs Kinderkriegen, für die Karriere. In einer hinreißenden Episode steht Sophie an der Empfangstheke ihrer Ballettschule und trifft zwei Freundinnen, die sie ein paar Wochen nicht gesehen hat: Beide sind schwanger, nein, sie haben schon Kinder, die Kinder sind sogar ziemlich groß, sie sind erwachsen und haben eigene Kinder, die beiden Freundinnen sind tot, die Zeit ist verstrichen und Sophie hat es nicht gemerkt.

Denn das Gemeine ist: Selbst wenn man die Zeit anhält, wie der sympathische Jason (Hamish Linklater), läuft sie weiter, irgendwo. Und irgendwann ist es zu spät, auch wenn man den Ozean gerade noch mal in Bewegung gebracht hat. „Vier Jahre seid ihr zusammen?“, fragt ein alter Mann, dem Jason einen Fön für drei Dollar abkauft und sich dann eine Eloge auf das liebevoll reparierte Nutzlos-Gerät anhören muss. „Vier Jahre? Das ist doch erst der Anfang.“ Er sei mit seiner Frau 60 Jahre verheiratet und schreibt ihr immer noch schmutzige Limericks. „Der Anfang ist das Schwerste“, weiß der Alte. „Erst recht, wenn etwas Schreckliches passiert.“ Das kluge Pfötchen in seiner Tierklinik, das so geduldig auf Sophie und Jason gewartet hat, sieht das genauso: „Das Leben war erst der Anfang“. Nun ist der Anfang vorüber.

Nicht umsonst heißt Miranda Julys zauberhafter Möglichkeitsfilm „The Future“. Auf die nächsten 50 Jahre also.

Mittwoch 15.30 Uhr (Friedrichstadtpalast), 22.30 Uhr (Urania); 17. 2., 18.30 Uhr (Adria); 20.2., 22.30 Uhr (Berlinale Palast)

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