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Kultur: Klettverschlüsselung

Alle schauen hin und doch hat keiner etwas gesehen.Jeder ist damit beschäftigt, seine eigene Haut möglichst lange zu retten, ohne Rücksicht auf den Nächsten.

Alle schauen hin und doch hat keiner etwas gesehen.Jeder ist damit beschäftigt, seine eigene Haut möglichst lange zu retten, ohne Rücksicht auf den Nächsten.Woyzeck hatte sich das anders vorgestellt: Er liebt seine Marie und opfert sich auf für ihren Lebensunterhalt.Woyzeck und Marie, jung und so verletzlich, ganz zart verliebt, knien vor dem Bett ihres schlafenden Kindes.Ein kurzer Moment des Glücks, in dem Woyzeck zur Ruhe kommt.Sonst rennt er und rennt und stolpert und bricht zusammen, rappelt sich auf und rennt weiter.Der Bühnenraum im Theater am Halleschen Ufer bietet ihm dafür unendlich viel Platz.Ein arenenartiges Rondell aus weißem Leinentuch, zu den Seiten hoch gespannt und in den Zuschauerraum ragend, läßt sich überqueren und unterlaufen, gibt jede Bewegung an die Stoffplane weiter.

Die Woyzeck-Aufführung des Orphtheaters strotzt im kalten Scheinwerferlicht vor Aggressivität, mit zeitlupen-langsamen Bewegungen und stilisierter Mimik.Ebenso kraftvoll sind die laut-pochenden Szenen, in denen alle stampfen und treten und sich (selbst-)zerstörerisch gebärden.Dabei sind Woyzecks Mitmenschen eigentlich auch nur arm dran.Aber sie schützen sich: Lieber Schadenfreude als bittere Selbsterkenntnis.Der Doktor kümmert sich um seine wissenschaftlichen Experimente und verspricht Woyzeck eine Zulage, wenn dessen geschundener Körper noch weitere Abartigkeiten aufweist.Der Tambourmajor schaut bloß auf Maries Frischfleisch.Woyzeck (Uwe Schmieder) blickt starr in die Luft.Regisseurin Susanne Truckenbrodt verfolgt die Bedrängung der Titelfigur durch sein soziales Umfeld, macht ihn zum Gefangenen in der Beschränktheit seines eigenen Lebens.

Marie ist bei Antje Görner eine Kindfrau, die mit ihren Sehnsüchten vom rauhen Alltag überfordert wird.Bitterliches Weinen und antrainierte Härte lösen sich ab.Die neue Inszenierung des Orphtheaters konzentriert sich auf den Menschen an sich.Austauschbar in ähnlichen, weißen Thermoklamotten gekleidet, gleichenn sich letztendlich alle in ihrer Selbstbezogenheit.Alle sitzen in der selben kühlen Welt der weißen Stoffplanen.Die am Anfang weiß geschminkten Gesichter verlieren immer mehr an Farbe und Kontur.Die Klettverschlüsse der Kleider reißen auf und die Spannung des Bühnen-Tuches erschlafft.Ein Kraftakt ohne Resultat.

Theater am Halleschen Ufer,bis 17.April, jeweils 21 Uhr

CORDULA DÄUPER

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