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Kultur: Koch im Kindergarten

Das Chaos ist aufgeraucht: „Die Verurteilung des Lukullus“ an der Komischen Oper Berlin

Was für ein Staatsmann! Gerade erst mit Pomp zu Grabe getragen, wirbt der römische Feldherr im Totenreich für seine Taten (Asien erobert! Sieben Könige gestürzt! Den Kirschbaum importiert!), ein eitler Geck, der um Aufmerksamkeit buhlt. Dieser Lukullus ist weniger Prahlhans als Hanswurst, ein Möchtegern-Strahletenor, mit dem kein Opernstaat zu machen ist, einer, der sich verzweifelt Gehör zu verschaffen versucht – auch weil Kor-Jan Dusseljee sich am Premierenabend „nicht so fühlt“, wie Intendant Andreas Homoki den Sänger vorab entschuldigt. Nein, kein Kriegstreiber und schon gar kein Tyrann, eher ein Kerl, dem unser Mitleid gebührt. Zumal Bertolt Brecht ihm noch in der Überzeichnung sympathische Schwächen attestiert und Paul Dessau ihm die panisch-flattrigen Töne eines sterbenden Schwans zuschreibt.

Was für ein Totenreich! Hartmut Meyer hat für Katja Czellniks „Lukullus“-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin eine Gruppen-Gummizelle eingerichtet, mit Alufolienwänden, biegsamen Plastikbuchsbäumen und sedierten Patienten. Komm in den Psychogarten – hier traumwandelt jeder für sich allein. Kein Wunder, dass in dieser Wahnsinnswelt – und was wäre Oper, und sei’s die epische, sonst je anderes gewesen – auch die Schöffen vornehmlich mit sich selbst beschäftig sind, wenn sie Gericht sitzen über die Verdienste und Missetaten des Hades-Novizen Lukullus. „Ins Nichts mit ihm“, lautet nach dem Abgleich „80 000 Tote gegen einen Kirschbaum“ der Richterspruch. Ursprünglich hatte Brecht ein offenes Ende gewollt, das Urteil sollte das Publikum fällen.

Was für ein Opernstreit! Im Parlament fliegen die Fetzen, nicht wegen der Staatsoper, sondern wegen der Musik, die dort zu Gehör gebracht wird. Zu viele Dissonanzen, schimpfen die Politiker, all diese schrägen Sekunden und Septimen! Und diese scharfen Blechbläser erst! Andere mokieren sich über das Libretto und dessen pauschalen Pazifismus, wieder andere wünschen sich weniger Rhythmus und mehr Melodie. Der Dirigent hält dagegen und fordert, die Oper solle doch erst mal aufgeführt werden, „und vermöbeln Sie uns hinterher, wie Sie wollen“. Schließlich schmieden Macht und Geist eine große Koalition und einigen sich auf eine geschlossene Uraufführung sowie auf geänderte Textpassagen.

Es geschah am 17. März 1951: Nachdem das ZK der SED sich noch am Vormittag über „Die Verurteilung des Lukullus“ gestritten hat, wird das Werk am Abend im Ausweichquartier der Staatsoper – nein, nicht im Schillertheater, sondern im Admiralspalast! – vor ausgewählten Gästen aufgeführt, Hermann Scherchen dirigiert. Der „Lukullus“-Streit gerät zum Höhepunkt der Formalismusdebatte. Die DDR, die Staatskunst und die sozialistische Ästhetik – eine alte, groteske Geschichte.

Heute, ein gutes halbes Jahrhundert später, kehrt Czellniks Inszenierung die kruden Seiten des Werks selbst hervor. Das bizarre Staatsbegräbnis zu Beginn kredenzt sie in Form eines historisch-aktuellen Bildersalats, mit Putin und Bush, Churchill und Schröder mit Zigarre, Merkel im WM-Stadion, Papstbeerdigung, Militärparaden, Massenkundgebungen und Promi-Kondolenz jedweder Art (Video: Falschfilm). Turnende Winkelementarschul-Kinder und ein mobiler Soldatenfries voller Pappkameraden machen Propaganda aus dem Geist der Gymnastik, bis das hohe Totengericht zum Schauprozess der Besiegten über den Sieger mutiert. Die Beweislage ist schwach: Der von Lukullus unterworfene König (Hans-Peter Scheidegger) outet sich als feiger Lackaffe, seine Königin (Erika Roos) argumentiert auch nur mit abgeschmackten Koloraturen, und das um seinen Soldatensohn trauernde Fischweib (tapfer: Gabriela Maria Schmeide, bekannt aus Andreas Dresens Film „Halbe Treppe“) steht vor lauter Kummer immer noch unter Schock.

Ein chaotischer, ratloser „Lukullus“: Mummenschanz, Budenzauber, Barbapapa-Familientreffen, Gameshow, Psychotalk, Videospiel – und manchmal Schlingensief für Brave. Hier geht kein Lehrstück über Ruhm, Verantwortung und Gerechtigkeit über die Bühne, sondern ein mediales Verwirrspiel, in dessen Verlauf sich auch der prollige Kommentator (mit Mut zur Charge: Markus John) und der Fiesling von Totenrichter (Lars Jensen als zunehmend geschundener Schinder) für keine Entertainment-Nummer zu fein sind. Ein Kindergarten, in dem alle „Ich, Ich, Ich!“ rufen. Und am Ende gibt Lukullus den Fernsehkoch.

Erhellend ist das Chaos kaum. Warum diese Karikatur von Geschichtsopfern und -tätern, warum dieses Stück Leid und Verstrickung auch der kleinen Leute? Warum gerade jetzt? Krieg ist schließlich irgendwie immer, auch das Schild mit der Aufschrift „Du bist Rom“ kommt einem bekannt vor. Erhellend ist allenfalls die Ehrlichkeit, mit der sich das junge Inszenierungsteam keinen rechten Reim machen kann auf die einst einen Politkulturskandal auslösende „Oper in 12 Szenen“. Erhellend auch Eberhard Klokes Dirigat, der bei seinem Einstand im Haus an der Behrenstraße ein strenges Regiment führt. Unerbittlich geht das Orchester ans Werk: Noch die spärlichen Streicherkantilenen, der Volkston des Akkordeons und die Klagelieder der Flöten haben zwischen all dem Schlagwerk und der Automatenmusik von Trautonium und Marimbaphon etwas Abgezirkeltes.

Diese Musik ist selbst traumatisiert. Sie irrt herum wie der Chor und das bunt zusammengewürfelte Statistenvolk (Kostüme: Nicole Timm, Sebastian Figal). Zuckt manisch wie das Fischweib. Verfällt in apathische Liegetöne und Ostinati, um gleich wieder um sich zu schlagen. Passacaglia und Eruption: Dessaus gestische Musik entspricht der Motorik von psychisch Kranken. In dem Changieren zwischen Lähmung und Aggression steckt, bei aller Geräuschhaftigkeit, ihre Empathie mit einer im Kriegsschuldkomplex erstarrten Gesellschaft – und ein wahres Moment von Brechts Blick auf beide Deutschlands der fünfziger Jahre. Eine formstrengere, weniger wild assoziierende Inszenierung könnte eindrücklicher erzählen, wie da mit kriegerischen Tönen ein fauler Frieden aufgemischt wird.

Wieder am 2., 7., 12. und 28. 12.

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