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Kultur: Königin der Schmerzen

Zum 70. Geburtstag feiern die Deutschen ihr einst verstoßenes Idol Romy Schneider

Die letzte Nacht: eine lange Reise in die eigene Vergangenheit, eine Inventur, eine Abrechnung. Sie hockt auf dem Teppich ihrer Pariser Wohnung, raucht, trinkt Champagner. Vor sich hat sie die Dokumente ihres Lebens ausgebreitet, Schachteln mit Fotos, Tagebüchern und Filmplakaten. Sie will ein Buch schreiben, ihre Autobiografie, ein Verlag hat eine Million Mark Vorschuss geboten. Aber womit soll sie beginnen? Mit ihrer Mutter, bei der sie stets „abgrundtiefe Ablehnung“ spürte? Mit der Kindheit im sonnendurchfluteten Bergparadies? Mit den frühen Filmerfolgen, mit ihren Liebesbeziehungen, die immer wieder zu Dramen wurden? Sie bringt keine Zeile zu Papier, und die Nacht wird schwärzer und schwärzer. Endlich Ruhe finden will sie, sie sucht ihre Tabletten, aber ihr Freund hat sie versteckt. Mandrax, Staudorom, Opalidon Spezial, Valium. „Gnome wie aus einem Märchen der Brüder Grimm, mit ihren fremden, aber auch beruhigenden Namen.“ Sie holt Nachschub aus der Nachtapotheke, der Morgen strahlt schon hell, als sie endlich in den Schlaf fällt. Aufwachen wird sie nicht mehr.

So imaginiert der Münchner Schriftsteller Olaf Kraemer in seinem Roman „Ende einer Nacht“ die letzten Stunden von Romy Schneider. In Wirklichkeit war ihr Tod am 29. Mai 1982 ein weitaus prosaischeres Ereignis. Laurent Pétin, ihr letzter Lebensgefährte, findet die Schauspielerin morgens um sieben im gemeinsamen Apartment, Rue Barbet de Jouy 11 im siebten Pariser Arrondissement. Sie sitzt leblos an ihrem Schreibtisch, ein Arm hängt über der Lehne, vor ihr steht eine leere Rotweinflasche. Sie hat einen Brief an eine Frauenzeitschrift begonnen, die Worte brechen mitten im Satz ab. Eine Interviewabsage, keine Lebensbeichte. Die Ärzte diagnostizieren Herzversagen. Der Star wurde nur 43 Jahre alt.

Ihr früher Tod hat viel zum Mythos der Romy Schneider als Schmerzensfrau des deutschen Films beigetragen, deren private Tragödien jedes Melodram überragten, in dem sie auftrat. „Sie ist an gebrochenem Herzen gestorben“, stellte Alain Delon fest, als noch über Selbstmord spekuliert wurde. Mit Delon hatte Schneider fünf Jahre zusammengelebt. Als der Verlobte sie verließ und ihr nur einen Zettel hinterließ („Ich bin mit Natalie nach Mexiko“), schnitt sie sich tatsächlich die Pulsadern auf. Doch tödlich waren für sie ganz andere Schicksalsschläge. 1981, in ihrem dunkelsten Jahr, häufte sich das Unglück. Ihre zweite Ehe mit ihrem Sekretär Daniel Biasini endete im Scheidungskrieg, sie musste eine Nierentumoroperation über sich ergehen lassen, und dann, größtmöglicher Horror, starb ihr 14-jähriger Sohn Daniel bei einem schrecklichen Unfall. Die Wohnung, in der sie mit dem Kind gelebt hatte, hat sie danach nie wieder betreten, den Hausrat ließ sie einlagern. Noch vor Daniels Tod sagte die Schauspielerin dem „Stern“: „Ich bin eine unglückliche Frau von 42 Jahren und heiße Romy Schneider.“

Schneider, die Seelen-Entblößerin, wird gerne als Opfer wahrgenommen. „Sie hat sich nicht umgebracht, sie wurde umgebracht“, so lautet das Verdikt von Alice Schwarzer. Als Täter kommen die üblichen Verdächtigen in Frage: Romys kalte Familie, ihre Männer wie Delon, vielleicht sogar die Deutschen im Ganzen. Denn Zeit ihres Lebens haben die Deutschen der gebürtigen Österreicherin nicht verzeihen wollen, dass sie nach ihrem Triumph als jugendliche „Sissi“-Darstellerin das Wirtschaftswunderland verlassen hatte, um in Frankreich die besseren Filme zu drehen und die schöneren Liebhaber zu bekommen.

„Ich bin nicht deren Sissi“, klagte Schneider noch ein Jahr vor ihrem Tod über ihr Image. „Ich bin doch längst nicht mehr Sissi, ich war das auch nie.“ Doch posthum scheinen sich die Deutschen mit ihrem – neben Marlene Dietrich und Hildegard Knef – größten Weltstar ausgesöhnt zu haben. Vor zwei Jahren wurde Romy Schneider in einer ZDF-Sendung zur deutschen Lieblingsschauspielerin gewählt. Und nun, pünktlich zu ihrem 70. Geburtstag, erscheinen so viele respektvolle Romy-Biografien und opulente Bildbände, dass es einer medialen Wiedergutmachung nahekommt (siehe Kasten).

Das Leben der Schauspielerin war von Anfang an von der deutschen Geschichte überschattet. Am 23. September 1938 in Wien geboren, wächst sie bei ihren Großeltern im Landhaus „Mariengrund“ bei Berchtesgaden auf. Nach der Scheidung der Eltern ist ihr Vater, der Schauspieler Wolf Albach-Retty, aus ihrem Leben verschwunden. Die Mutter, Ufa-Filmstar Magda Schneider, kümmert sich um ihre Karriere. Von Mariengrund geht der Blick bis hinauf zum Obersalzberg, Hitlers Feriendomizil. Dort empfängt der „Führer“ auch Magda Schneider, die zu seinen Lieblingsdarstellerinnen gehört. Später wird Romy in ihren Filmen bevorzugt jüdische Nazi-Opfer spielen und – wohl fälschlich – behaupten: „Ich glaube, meine Mutter hatte eine Affäre mit Hitler.“

Eigentlich will Schneider Modezeichnerin werden, doch statt auf der Kunstgewerbeschule landet sie 1953 vor der Kamera. Im Heimatfilm „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ spielt ihre Mutter Magda eine Hauptrolle, die Rolle ihrer Tochter ist noch zu besetzen. Nach Probeaufnahmen wird Romy sofort engagiert, ohne einen einzigen Tag Schauspielschule. „Ich filme! Toll, einfach toll! Willy Fritsch ist übrigens bezaubernd zu mir“, notiert die 14-Jährige in ihrem Tagebuch. Sie steigt rasch zum Nachwuchsidol auf, sogar der erste Liebeskuss ihres Lebens folgt einem Drehbuch. Für den Zirkusfilm „Feuerwerk“ hat sie ihren Kollegen Claus Biederstaedt zu küssen, nachher fragt sie ihn: „Liebst du mich noch?“

Es ist die oft erzählte Geschichte vom Kinderstar, der um seine Jugend betrogen wird. Magda Schneider und ihr neuer Ehemann Hans-Herbert Blatzheim, ein millionenschwerer Gastronom, handeln die Verträge aus und überlassen Romy nur ein Taschengeld. Sie nennt Blatzheim erst schnippisch „Daddy“, später verächtlich „maquereau“, ein französischer Slangbegriff für „Zuhälter“. Die drei Folgen der Habsburg-Saga „Sissi“ machen Schneider ab 1955 endgültig zur Kaiserin des Adenauer-Kinos. Als ihr für einen vierten Teil die damals astronomische Gage von einer Million Mark geboten wird, lehnt sie ab. Stattdessen bricht sie 1959 nach Frankreich auf, zu Alain Delon, den sie beim Dreh des Kostümschinkens „Christine“ kennengelernt hat.

Fluchtversuche, Emanzipationsakte. „Ich kann nichts im Leben – und alles auf der Leinwand“, hat Romy Schneider gesagt. In den siebziger Jahren, nach dem internationalen Durchbruch in Filmen von Claude Sautet, Orson Welles und Claude Chabrol, wird sie sich ganz in der Existenz vor der Kamera einrichten und sich zwischen ihren Filmen immer wieder zu Entziehungskuren einweisen lassen. Nur einmal versucht sie sich im kleinen bürgerlichen Glück. 1966 heiratet sie den Boulevard-Regisseur Harry Meyen, zieht zu ihm nach Berlin, bekommt Daniel, das erste ihrer beiden Kinder, und lehnt zwei Jahre lang alle Filmangebote ab. Aber Meyen, nach außen herrisch, ist depressiv, als sogenannter „Halbjude“ war er während der NS-Zeit in Gestapo-Haft gefoltert worden. Später wird er sich erhängen. Meyen ist es, der Romy Schneider in die schöne heile Welt der Psychopharmaka einführt. Tabletten, schreibt Olaf Kraemer in seinem Romy-Roman, sind „Raumschiffe“, die es uns erlauben, „über die eigenen Abgründe zu fliegen“.

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