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Königin Luise: Ihre Königliche Freiheit

Was vom Mythos übrig bleibt: Eine Berliner Ausstellung feiert Königin Luise zum 200. Todestag.

Sie schreitet hoheitsvoll die Treppe hinunter, im langen, weißen Seidengewand. Dramatisch flattern Schärpe und Seidentuch, golden leuchtet der Stern am Diadem. Im Hintergrund ballt sich finster das Gewitter zusammen. Nein, dies ist nicht Luise von Mecklenburg-Strelitz, Ehefrau Friedrich Wilhelms III., Königin von Preußen. Es ist die Laien-Schauspielerin Baronesse Josephine von Ziegler, die Kaiser Wilhelm I. auf der Bühne sah, woraufhin er ausrief: „Ganz wie meine Mutter.“ Danach hat der Maler Gustav Richter sie 1879 als Modell für sein Erinnerungsbild ausgewählt und ein Motiv geschaffen, das auf Tassen und Wandtellern, ja selbst als Stickerei und Handtuch unendlich oft reproduziert wurde. Luise war da schon 69 Jahre tot.

Jede Zeit bekommt die Luise, die sie verdient. Das ist das Fazit der Ausstellung, mit der im Schloss Charlottenburg Luises 200. Todestages gedacht wird – als Auftakt eines Dreierreigens, der sich im Sommer auf der Pfaueninsel und in Luises Sommerwohnsitz Paretz fortsetzen wird. Mehr als auf die Biografie der Preußenkönigin konzentriert man sich in Charlottenburg auf den Mythos. So kurz das Leben der am 19. Juli 1810 mit 34 Jahren in Schloss Hohenzieritz an einer Lungenentzündung verstorbenen Luise war – so lang ist die Geschichte ihres Nachruhms. Fragt man Kurator Rudolf Scharmann nach der Luise von heute, weist der auf den Museumsshop: „Schauen Sie sich um.“ Devotionalien ohne Ende: Luisen-Servietten, Luisen-Fingerhüte, Luisen-Knabberkekse, Luisen-Untersetzer und mindestens zehn neue Bücher. Auch die Ausstellung beginnt mit einer endlosen Reihe von Miniatur-Porzellanbüsten. Luise allerorten.

Kitsch-Königin und Pop-Prinzessin, das ist es, was von der preußischen Herrscherin in der öffentlichen Wahrnehmung geblieben ist. Eine Art Lady Di des 18. Jahrhunderts, eine schöne, unbekümmerte Mode-Queen, eine Königin der Herzen, die ungern liest und wenn, dann nur Schund, die ausgelassene Feste feiert, Walzer tanzt mit jedem, der will, und gegen die Hofetikette verstößt, wenn sie impulsiv ein Kind küsst, das ihr einen Blumenstrauß überreicht. Nach ihrem überraschenden, frühen Tod wird sie mit einem schier endlosen Trauerzug von Hohenzieritz nach Berlin geehrt, das ganze Land steht still, für einige Tage, eine Szene wie in London im Jahr 1997.

Lady Di, Evita Peron oder Kaiserin Sisi – man kommt von der Popularisierung nicht los, wenn es um schöne Königinnen und Prinzessinnen geht. Der Mensch hinter dem Mythos, voyeuristisch gesucht und gleichzeitig überhöht und verkitscht, er verblasst – man weiß heute nicht einmal mehr, welche Haarfarbe Luise hatte.

Das öffentliche Bild wirkt umso stärker, so ist es auch in Charlottenburg. Um Luise, von der unzählige, wunderbar lebhafte Briefe überliefert sind, als Person zu begreifen, wird man auf die Ausstellung in Paretz warten müssen, wo es um die Mode der Königin gehen wird, ihren Lebensstil, ihr Temperament. In der thesenhaft zugespitzten Berliner Ausstellung hingegen wird deutlich, was für eine exzellente Projektionsfläche ihr Leben war – für jede Form der Ausdeutung.

Die Sehnsucht von Luises Zeitgenossen nach Natürlichkeit etwa bedient das königliche Paar mit seiner betont bürgerlichen Bescheidenheit – schon das eine Inszenierung. Wenn Luise und Friedrich Wilhelm ohne Eskorte Hand in Hand im Tiergarten spazieren, wenn sie auf ihrem Sommergut Paretz ländliches Leben zur Erntezeit spielen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit duzen, wo man doch selbst die Eltern noch zu siezen pflegte. Und wenn sie, glaubhaft und bis in die letzte Stunde, eine eheliche Liebe vorleben, die in der Welt von arrangierten Vernunft- und Staatsehen eine Seltenheit war. Luises jüngere Schwester Friederike, mit der sie in der berühmten Schadow’schen Prinzessinnengruppe posiert, hat das leidvoll erfahren müssen in ihrer kurzen Ehe mit Friedrich Wilhelms jüngerem Bruder Louis – und sich hemmungslos in außereheliche Liebschaften gestürzt.

Doch die Nachwelt schlägt allzu schnell nationalistische Töne an. Luise, die lebenslustige „Jungfer Husch“, die unkonventionelle Monarchin, wird zur Märtyrerin in der Auseinandersetzung mit Frankreich. Ihr Vier-Augen-Gespräch mit Napoleon in Tilsit – von dem man bis heute nur das Ergebnis kennt, es fiel negativ aus – wird zum Opfergang stilisiert. Luises Tod drei Jahre später: Sie starb an gebrochenem Herzen. Als 1870, just am 60. Todestag Luises, die französische Kriegserklärung in Berlin eintrifft, ist das Maß voll. Die Krönung Wilhelms I. zum deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Versailles soll die Schmach rächen.

Das ist die Propaganda der Zeit. Ein Bild Anton von Werners zeigt Wilhelm I., wie er tief gebeugt im Mausoleum vom Grab seiner Mutter Abschied nimmt, bevor er in den Krieg zieht. Und sie zeigt, in einem absurden Denkmalentwurf von Gustav Eberlein, dessen Gipsfassung für die Ausstellung erstmals öffentlich präsentiert wird, eine Königin, die überlebensgroß, vollbusig und mit stolz erhobenem Kopf ins Weite blickt, während neben ihr ein geradezu grotesk klein geratener Napoleon die Stufen zu ihrem Podest zu erklimmen trachtet. Sie hat leider etwas Statuarisches, etwas Matroniges bekommen, diese Luise der Kaiserzeit. Nichts mehr von der gertenschlanken Prinzessin, die Schadow 1794 porträtierte, nichts von der überirdischen Schönheit in fließenden Gewändern, die Rauch in seinem Grabmal verewigte. Luise ist die Mutter der Nation.

Der 100. Todestag Luises wird 1910 als „Familienfest für Millionen“ inszeniert, die Königin als „Preußische Madonna“ verherrlicht. Es gibt Luise als Gipsbüste, Luise als Sammelbild, Luise als Sammeltasse, als Kalender, als Wohnzimmer-Stich – und Luise als Schutzherrin für den monarchistischen „Luisenbund“, der 1923 gegründet wurde und unter dem Motto „Ich dien“ antidemokratische Strömungen vertrat. Ein eindrucksvolles Foto am Schluss des Rundgangs zeigt die Luisen-Statue im Tiergarten nach dem Zweiten Weltkrieg, inmitten der wüsten, abgeholzten Fläche. Das ist es, was von Preußen übrig blieb.

Wie kommt man von der PreußenMadonna zurück in die Gegenwart? Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten versucht es mit weiterer Popularisierung, betitelt Luise in Neonfarben als „Working Mom“, „It-Girl“, „Fashion Victim“ und „Miss Preußen 2010“. Der Berliner Maler Matthias Koeppel geht kaum subtiler vor, wenn er die PopSchwestern Annette und Inga Humpe, umschlungen wie in der Prinzessinnengruppe, als Punks vors Charlottenburger Mausoleum stellt. Auch der Maler Moritz Götze schneidet die Prinzessinnen als Popups aus, so standen sie in Neuhardenberg, so stehen sie jetzt vor dem Schloss Charlottenburg. Und doch hat Goetze mit „Luises Brief“ auch ein anrührendes Erinnerungs-Triptychon in Comicform geschaffen. Die Propaganda-Königin als Pop-Prinzessin: Auch unsere Zeit hat die Luise, die sie verdient.

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