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Kolumne "Ausgehen": Uhudler: Der Geschmack nach Bazooka Joe

Eigentlich dürfte dieser Wein nach dem Gesetz gar nicht offiziell als solcher gehandelt werden: der Uhudler. In einer Neuköllner Kneipe wird er trotzdem ausgeschenkt. Und schmeckt: wild.

Dass diese Stadt voller Affen ist, hat irgendjemand schon mal besungen. Dass auf ihren Wegen viele Rad fahren wie unzureichend trainierte Bären, hat sicher auch schon einer abgedichtet. Berlin kann einem tierisch auf die Nerven gehen, wenn man sich selbst wie der letzte Mensch fühlt. Oft steckt einfach nur Durst dahinter. Mitten in diesen Gedanken glimmt auf der Neuköllner Weserstraße eine geheimnisvolle Botschaft auf: „IRRi TiERT & ORiEN TiER UNGSLOS“.

Das klingt verständnisvoll und einladend, ebenso wie der geschwungene Tresen im Schummerlicht, auf dem bunte Tinkturen ihres Einsatzes harren. Im Rücken spürt man den bohrenden Blick Marlon Brandos – und erliegt sofort einer Täuschung: Auf dem gegenüberliegenden Schwarz-Weiß-Fernseher wird ein weißes Katzenvieh endlos gestreichelt, so dass der Eindruck von Zärtlichkeit mit der Zeit gänzlich schwindet. Es ist aber nicht der Pate, der hier durchs Fell fährt, sondern Bond-Antagonist Blofeld.

Es bleibt nicht die einzige wohltuende Irritation im Tier, wie diese Bar heißt. Unter ihren wenigen Weinen hält sie einen Uhudler bereit, der nicht nur nach Vieh klingt, sondern auch wild schmeckt. Einige Jahre durfte dieser Trank aus der Steiermark gar nicht offiziell gehandelt werden, weil er nach dem Weingesetz gar zu sehr Bastard mit amerikanischem Einschlag war. Wie Uhudler schmeckt? Nach Bazooka-Joe-Kaugummi, der auch nur noch schwer zu bekommen ist. Oder für intellektuelle Genießer formuliert: nach Boysenbeere mit frischem Waldmeister. Darauf einen Cocktail, einen „Schopenhauer“.

Vielleicht darf der Mix aus Bourbon, Rotebeetesaft, selbst gemachtem Salbeisirup, Pfeffer und Aromatic Bitters diesen Namen tragen, weil der Philosoph ein streitbarer Tierfreund war. Von seinem Askeseideal ist der Drink jedenfalls nicht angekränkelt. Dunkel und rund rinnt er hinunter, harmonisch und stark, bis nur noch ein blutiger Rand im Glas zurückbleibt. Gegenüber auf dem kleinen Bildschirm pflügt unaufhörlich Blofelds Hand mit dem dicken Ring durchs Katzenfell. „Die Menschen sind die Teufel der Erde und die Tiere die geplagten Seelen.“ Da hat der Schopenhauer wieder mal recht. Er wohnte schließlich zehn leidvolle Jahre in Berlin.

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