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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz auf der Buchmesse in Leipzig.

© dpa

Kolumne über den Literaturbetrieb: Der Liebling der Buchbranche

In den Siebzigern machte er eine Buchhandelslehre, in den Achtzigern eröffnete er einen eigenen Buchladen: Martin Schulz ist der Lieblingspolitiker des Literaturbetriebs.

Als SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz neulich der Leipziger Buchmesse einen Besuch abstattete, war die Aufregung in den Hallen selbstredend groß: auffällige, ruppige Kamerateams hier, unauffällig-auffällige, weniger ruppige Bodyguards dort, da ließen sich ein Schulz-Körper oder eine Schulz-Halbglatze bisweilen nur erahnen, da bestätigte oft allein die Menschenzusammenballung die Präsenz des Politikers.

Das Ganze hatte was von einem Wahlkampfauftritt, und Martin Schulz versuchte sich als Mittler zwischen der politischen und der Buchwelt. Im Gespräch mit Clemens Meyer lobte er den Leipziger Schriftsteller, der gerade einen Erzählungenband veröffentlicht hat, in dem Wachmänner, Putzfrauen, Friseusen, Strandbahnfahrer oder alt gewordene Jockeys die jeweiligen Hauptfiguren sind:  „Die Leute, die Sie beobachten, sind die eigentlichen Träger der Gesellschaft, die sich aber von der Gesellschaft nicht wahrgenommen fühlen.“ Mit Olga Grjasnowa konnte er zwar nicht deren Roman „Gott ist nicht schüchtern“ über zwei syrische Geflüchtete diskutieren, den hatte er nicht gelesen. Aber es sei, wie man hörte, im Gespräch der beiden um Lampedusa und Lesbos und das Schicksal vieler Geflüchteter in den europäischen Auffanglagern gegangen. Und am Stand von Klett-Cotta gestand Schulz gegenüber dem Neue-Rechte-Forscher Volker Weiß in einem Gespräch über die „Faszination des Autoritären“ einmal mehr seine Leidenschaft für Ernst Jünger, ja, dass dieser in seinem langen Leben immer linker geworden sei. Worüber sich streiten lässt.

Schulz ist kein Literatur-Poser

Nicht darüber jedoch, ob Schulz bloß ein Literatur-Poser ist. Nein, sicher nicht. Denn in den siebziger Jahren hat Schulz nicht nur eine Buchhandelslehre gemacht und Anfang der achtziger Jahre in seiner nordrhein-westfälischen Heimatstadt Würselen gar selbst einen Buchladen eröffnet, sondern er scheint der Literatur und damit einer ersten Lebensliebe bis heute treu geblieben zu sein. Damit ist er zum ultimativen Lieblingspolitiker des Literaturbetriebs geworden.

Im „Spiegel“ konnte man gerade eines der Bücherregale abgebildet sehen, das Schulz sich in seinem neuen Büro im Willy-Brandt-Haus eingerichtet hat. Eingerahmt von einer Ausgabe von Isabel Allendes „Das Geisterhaus“ und Amos Oz’ letztem Roman „Judas“ stehen dort Ernst Jüngers dreibändige „Strahlungen“ in einer dtv-Taschenbuchausgabe, Gabriel Garcia Marquez’ Roman „Der General in seinem Labyrinth“, Helmut Schmidts „Mein Europa“, Frank Schirrmachers posthum erschienener Edition-Suhrkamp-Band „Technologischer Totalitarismus“ oder zwei Bände von Hans Fallada. Wer will da meckern?

Das einfach nur Schöne fehlt

Diese Buchauswahl sieht nach gewissenhafter intellektueller Auseinandersetzung aus. Allerdings erscheint sie eine Idee zu gewissenhaft, zu zielgerichtet, wirkt sie irgendwie demonstrativ. Es ließe sich einwenden bei diesem Ausschnitt aus dem Leseleben des Martin Schulz: Das frei Flottierende fehlt, das Wahl- und Ziellose, das einfach nur Schöne (und was heißt da schon „einfach nur“?), der ästhetische Mehrwert, alles, was sich politisch nicht gleich nutzbringend verwerten lässt. Sagen wir: „Liebe in den Zeiten der Cholera“ statt „Der General in seinem Labyrinth“, „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ statt „Judas“. Kurzum: Es fehlt der Beweis, dass Schulz, wie er es dem „Spiegel“ so hübsch gesagt hat, „als Paddelbootfahrer im Meer der Bücher und der Literatur unterwegs“ sei.

Aber sein Job ist halt ein anderer. Die Literatur muss für ihn wohl Mittel zum Zweck sein. 2013 nannte Schulz in einem Interview mit dem „Freitag“ die Fiktion ein „Hilfsmittel, mit dem man Lösungen erarbeiten“ könne. „Wenn man genau hinschaut, was andere sich vorstellen, wie es sein könnte, kann man daraus Ideen ableiten, die man realistisch umsetzen kann“. Weshalb er die These verfechte, „dass Literatur großen Einfluss auf die Politik haben kann, sogar haben muss. Aber Schriftsteller können nicht die Arbeit der Politiker übernehmen.“ Ob demnächst wenigstens ein paar Autoren und Autorinnen Schulz zur Seite springen und mit ihm Wahlkampf machen, wie einst Grass, Lenz und Co für Willy Brandt? Bislang schweigen sie noch.

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