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Heiko Trinsinger als Vampyr.

© Iko Freese | drama-berlin.de

Komische Oper Berlin: Ein Bisschen Spaß muss sein

Echt untot: Der Regisseur Antú Romero Nunes fühlt an der Komischen Oper Heinrich Marschners „Vampyr“ von 1828 auf den Reißzahn.

Unerklärlich, warum dieses Stück nicht ständig auf den Spielplänen steht. Denn „Der Vampyr“ des 1795 in Zittau geborenen Komponisten Heinrich Marschner ist ein wirklich gutes, ein aufregendes Stück Musiktheater, stilistisch das Bindeglied zwischen dem „Freischütz“ und dem „Fliegenden Holländer“, 1828 in Leipzig uraufgeführt, also sieben Jahre nach Webers Jäger-Drama und 15 Jahre vor Wagners Kapitäns-Tragödie. Diese drei Werke bilden die Spitze der musikalischen Schauerromantik auf deutschen Opernbühnen, wobei „Der Vampyr“ dramaturgisch sogar am besten gebaut ist. Die Entsprechung zur „Wolfsschluchtszene“ steht hier am Beginn: In der Waldwildnis tagt um Mitternacht die Vampirversammlung. Unter der Bedingung, dass er binnen 24 Stunden drei Jungfrauen tötet, wird Lord Ruthven die Verlängerung seines irdischen Lebens um ein Jahr gewährt. Das setzt den Titelhelden unter einen Zeitdruck, der bis zum Finale für stets zunehmende Spannung garantiert. Im Laufe der beiden Akte wird dann sowohl das Modell für die „Senta-Ballade“ zu hören sein – eine vom Sopran vorgesungene Beschreibung der Verführungstaktiken des Vampirs – als auch die Vorlage für die Auftrittsarie des Holländers. Darin schildert Ruthven, wie er als Strafe für seine Sünden zum Blutsauger wurde und – ungewollt – seine Familienmitglieder morden musste, bis hin zur jüngsten Tochter, die mit frommem Blick versprach für ihn zu beten, als er ihr in den Hals biss.

Das Böse bricht mit Macht ein in die Idylle des Biedermeier

Es ist der Zusammenprall von Unterwelt und idyllischem Biedermeier, die sowohl Marschners „Vampyr“ wie auch seinem „Hans Heiling“ die Spannung gibt, den Christian Thielemann 2001 an der Deutschen Oper dirigierte. Die heiteren Frauenchöre, die Dorftänze und Hochzeitsgesänge schaffen dabei eine Atmosphäre ländlich-sittlicher Naivität, in die das Andersartige mit Macht einbricht. Grandios beispielsweise die Szene, in der Lord Ruthven vom Vater seines ersten Opfers schwer verwundet wird und daraufhin seinen treuen Diener Edgar bittet, ihn so auf einen Felsen zu legen, dass der Mond ihm ins Gesicht scheint. Nur durch das bleiche Licht nämlich kann er zu neuen Kräften kommen.
Leider ist dieser suggestive Moment in der Komischen Oper jetzt nicht zu erleben. Denn der Regisseur Antú Romero Nunes hat für seine „Vampyr“-Inszenierung nicht allein sämtliche Dialoge gestrichen, sondern auch ein Drittel von Marschners Musik. Die neue Fassung, die er mit dem Chefdramaturgen des Hauses, Ulrich Lenz, ausgearbeitet hat, macht aus den ursprünglich drei Stunden Aufführungsdauer pausenlose 90 Minuten. Der Aufbau des Stücks ist komplett zerschlagen, viele Nummern werden nur angespielt. Die Ouvertüre, in der Marschner vorführt, wie gut er musikalische Erregungszustände heraufbeschwören kann, erschien dem Kreativteam zur Einstimmung entbehrlich und taucht nur fetzenweise in späteren Szenen auf.

Dafür wurde beim Komponisten Johannes Hofmann zusätzliches Klangmaterial in Auftrag gegeben. Zeitgenössische Orchesterschnipsel, nach den gängigen Konventionen zur Soundtrack-Herstellung verfertigt, sollen als Klangkitt dieser Collage dienen. Denn Horrorfilme und Splatter-Movies sind die Bezugsgrößen des Regisseurs, der für seine radikalen Sprechtheater-Dekonstruktionen bekannt ist und sie hier erstmals am Musiktheater versucht. „Mich interessiert“, verkündet er im Programmheft, „ob und wie es möglich ist, das Publikum einer Opernaufführung zum Gruseln zu bringen, indem man die Geschichte mit einer gewissen Atemlosigkeit erzählt.“

Schon beim ersten Schockeffekt wird im Saal gelacht

So, wie er es hier macht, jedenfalls nicht. Denn die Leute lachen schon beim ersten Schockeffekt, als der Vampir sich eine Zuschauerin aus der ersten Reihe greift, sie an den Haaren auf die Bühne schleift, ihr erst die Gesichtshaut abzieht und dann blutige Gedärme aus ihrem Unterleib zerrt. Kein Gentleman ist der Lord hier, kein eleganter Verführer, der seine Opfer mit seiner weltläufigen Art magisch anzieht. Heinrich Marschner hat seinem Ruthven musikalisch doppelgesichtig dargestellt, nicht nur als Furcht erregendes Monster, sondern eben auch als charmanten Wiedergänger Don Giovannis. Bei Nunes ist er nur eine Witzfigur, eine eklige, ganzkörperlich weiß geschminkte Made mit überlangem Hitler-Scheitel. Der sich auch später, wenn er einen Mantel überwirft, kaum verstellen kann.

Und es auch nicht muss. Denn alle sind hier Zombies. Die hingebungsvoll hinkenden, wankenden und Zähne fletschenden Chorsolisten, aber auch die Protagonisten mit den scheinbar reinen Seelen sind sämtlich längst der Hölle verfallen, wie sich im bluttriefenden Showdown zeigt.

Als Opfer bleibt am Ende die Oper selber zurück, veralbert, verjuxt, verblödelt. Zur Strecke gebracht und, was noch schlimmer ist, zur Schnecke gemacht. Denn das Publikum verlässt diese Aufführung in der Überzeugung, dass es sich bei Marschners „Vampyr“ um ein lächerlich altbackenes Bühnen-Elaborat handelt, um eine Fußnote der Musikgeschichte, belanglos und zu Recht vergessen.

Zum Grusical zurechtgekalauert, verliert das Stück seine Kraft

Das aber ist das Letzte, was Intendant Barrie Kosky gewollt haben kann. Denn er war es ja, der das Stück angesetzt hat – aus der Überzeugung heraus, dass die Repertoire-Ausgrabung sich lohnt. Warum aber hat er dann nicht einen Regisseur beauftragt, der sich mit dem Genre auskennt? Der darum ermessen kann, welche Schlüsselstellung „Der Vampyr“ im Kontext der deutschen Spieloper im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts einnimmt. Und der darum dem Publikum erst mal nur stringent die Geschichte erzählt, aus dem Geist der Entstehungszeit heraus, mit ihren bewussten Hell-Dunkel-Kontrasten.

Wie „Der Freischütz“ und „Der fliegende Holländer“ ist auch „Der Vampyr“ ein Stück, das erschüttern kann, weil es in seelische Abgründe blickt und gleichzeitig um Mitleid wirbt mit einem düsteren Helden. Wenn es Antú Romero Nunes zur Farce macht, weil ihm der geistesgeschichtliche Horizont fehlt, verharmlost er es. Und nimmt den Sängern die Chance, das Publikum emotional zu erreichen. Wie Marionetten müssen sich die „Guten“ hier bewegen, immerhin in sehenswerten Kostümen von Annabelle Witt. Allein bei Jens Larsen, der als geldgieriger Vater seine Tochter an Lord Ruthven verschachert, funktioniert das. Die beiden Liebespaare aber können nicht zu Gegenspielern der Titelfigur werden, nicht Nicole Chevalier als püppchenhafte Lady Malwina, nicht Zoltan Nyari, der als ihr Verlobter vor allem laut ist statt lyrisch. Und schon gar nicht Maria Fiselier (Emmy) und Ivan Tursic (George), die – warum? – irgendwann unvermittelt als „Zuschauer“ aus dem Saal auf die Bühne drängen.

Heiko Trinsinger vermag als Vampir mit seinem kraftvollen Bariton durchaus auch lockende Kantilenen zu singen – jegliche vokale Differenzierung aber geht in den szenischen Knalleffekten unter. So wie auch kaum Aufmerksamkeit übrig bleibt, um der ausgeweideten Partitur zu lauschen, die das Orchester der Komischen Oper in grelle Klangfarben umsetzt, ohne Furcht und Adel angeleitet vom Dirigenten Antony Hermus – wenn ihm der Vampir nicht gerade einen Dolch aufs Frackhemd schleudert und ihn anschließend per Mundharmonika wieder zum Leben erweckt. Viel rote Farbe fließt – aber dieses Grusical bleibt blutleer.

Wieder am 26. 3. sowie 3., 17 und 23.4.

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