zum Hauptinhalt

Komische Oper: Das große Gepäck

Vieles wird anders: Barrie Kosky ist ab 2012 Intendant der Komischen Oper. Hier spricht über seine Pläne.

Wie übersetzt man das englische Wort „bubbles“? Am besten wohl mit Blasen, Luftblasen, Seifenblasen. Wenn der gebürtige Australier Barrie Kosky, der designierte Intendant der Komischen Oper, nun aber sagt, seine Ideen für das Haus an der Behrenstraße speisten sich im Wesentlichen aus „three bubbles“, dann bahnt sich ein Übersetzungsproblem an. Ein Spielplan, eine künstlerische Philosophie aus Luft- und Seifenblasen? Hm. „Säulen“ schlägt Pressesprecher André Kraft vor (der Kosky als Leiter der Kommunikation erhalten bleibt). „Aber Säule ist so!“, ruft Kosky und macht mit beiden Armen eine energische Litfaßbewegung – „und bubbles ist so!“ Seine Hände zeichnen zärtliche Kreise. Eher Luftiges schwebt ihm also vor, Schillerndes, Buntes, Flüchtiges. Irgendwie gibt es dafür kein deutsches Wort. Noch nicht.

Kamingespräch im Casino der Komischen Oper – ohne Kamin zwar, aber mit Häppchen und einem vor Energie, Mitteilungs- und Tatendrang nur so strotzenden Designatus. Wer eingangs der Meinung war, dass es der Nachfolger von Andreas Homoki schwer haben könnte, weil es der Komischen Oper zwar an vielem mangelt (an besseren Auslastungszahlen zum Beispiel), nur an der richtigen Programmatik, an der Schärfe des künstlerischen Profils nicht – der sieht das zwei Stunden später gründlich anders. Kosky glückt das Husarenstück, seinen Vorgänger (der ihn als Regisseur für das Haus entdeckte) zu loben und gleichzeitig deutlichzumachen, dass in Zukunft alles ganz anders wird, ja: werden muss. Namen, Besetzungen, konkrete Projekte freilich dürfen erst im März genannt werden, zur Jahrespressekonferenz. Wobei deren ungewöhnlich frühe Terminierung etwas mit der Eröffnungspremiere der Spielzeit 2012/13 zu tun hat, 21 Wochen Proben sind dafür angesetzt, doch psssssst.

Wozu braucht Berlin drei Opernhäuser? Aus Barrie Koskys Mund schmeckt die böse alte Frage weder sozialneidisch noch nach eingeschlafenen Kulturpolitikerfüßen, sondern eher: sachlich. 18 Monate lang haben er und sein künftiger Chefdramaturg Ulrich Lenz aus Hannover dem Reflex widerstanden, mit dem eigenen Engagement zum nächsten Telefonhörer zu greifen und all die vielen Künstlerfreunde anzurufen, mit denen sie immer schon einmal arbeiten wollten. 18 Monate lang haben Kosky und Lenz analysiert: Die Tradition des Behrenstraßen-Hauses, sein enorm „großes Gepäck“ von Fritzi Massary über Felsenstein bis Konwitschny, Neuenfels & Co; die Qualitäten des Hauses, sein Ethos, seine „Seele“; und, last but not least, auch sein Publikum.

46 Jahre alt ist der Besucher der Komischen Oper im Schnitt (was nicht zuletzt an den 40 000 Kindern pro Saison liegt), er fühlt sich weniger dem Haus verpflichtet als einzelnen Produktionen oder Namen – und könnte gern öfter kommen.

Das Ergebnis von Koskys Analyse sind die drei „bubbles“, wie gesagt: Erstens ein von so mancher Schlacke befreites Kernrepertoire, zweitens Uraufführungen sowie drittens, was dem Australier besonders am Herzen liegt, die sogenannte leichte Muse, das Unterhaltungstheater, also Operette, Musical, Revue, Varieté und dergleichen. Erst wenn ich weiß, wer oder was die Komische Oper ist, weiß ich auch, wozu Berlin drei Opernhäuser braucht, folgert Kosky sinngemäß. Das klingt zwar ein bisschen tautologisch und nicht ganz neu, hat aber, ernst genommen, weiter reichende Konsequenzen denn je. So werden an der Behrenstraße in Zukunft keine großen Opern von Verdi, Wagner, Puccini oder Strauss mehr gespielt. Warum? „Weil wir keine zwei ,Carmens’ und keine drei ,Bohèmes’ in der Stadt haben müssen.“ Und stattdessen? Mehr Mut zum eigenen Kern, mehr Randständiges. Das gilt auch für die Uraufführungen, die allesamt nicht mehr der guten alten Literaturoper folgen, sondern experimentellere, witzigere Wege gehen. Und schon ist man fein raus aus jeder Dublettenschraube.

Die Kinderoper? Ja, schwärmt Barrie Kosky, tolle Arbeit, setzen wir fort – doch wieso sitzen die Kleinen nur still und stumm herum? Mehr Mitmachtheater also, mehr Interaktion und Fantasie.

Der dickste und spektakulärste Brocken freilich findet sich im U-Bereich. Hier möchte Kosky, der aus einer Familie mit jüdisch-polnisch-ungarischen Wurzeln stammt, Berlin vor allem die Jazz-Operette ins Gedächtnis zurückrufen, wie sie bis 1933 im Metropol-Theater gepflegt wurde. Originäre Großstadtkunst und -kultur – „die Menschen, die das hier machen können, sind alle da!“ Apropos: Elf neue Sänger wird Kosky verpflichten und neun neue Regisseure (aus Russland, Holland, Frankreich, Israel). Und statt der gewohnten sechs Premieren gibt es ab dem kommenden Jahr acht, zwei davon vom Hausherrn selbst inszeniert.

Die Häppchen sind fast weggeputzt, da werden rasch noch drei etwas wundere Punkte berührt. Der Umbau des Hauses? Nicht vor 2015. Die Rolle der Opernstiftung? „Zusammen mit Jürgen Flimm und Dietmar Schwarz, dem neuen Chef der Deutschen Oper, denken wir darüber nach.“ Und soll an der Behrenstraße auch weiterhin ausschließlich Deutsch gesungen werden? Sibyllinisches Schweigen, psssst, bis März. In der Zwischenzeit kann Berlin ja noch nach einer geeigneten Übersetzung für Koskys viele schöne bunte „bubbles“ suchen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false