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Kultur: Komm, tanz mit mir!

Der fünfte Kontinent: Australien eröffnet das Young-Euro-Classic-Festival

Ein Wirbelwind fegt durchs Konzerthaus. Das Australian Youth Orchestra rüttelt nach Kräften an den Klassikern des alten Europa und schleudert Ravel um dessen eigene Achse. „La Valse“ von 1920 zur Eröffnung der 8. Ausgabe von Young Euro Classic: Die jungen Musiker vom fünften Kontinent – der fehlte noch bei den Weltreisenden des Berliner Musiksommers – fordern zum Tanz auf, wie andere zum Duell auffordern. Ungestüm, unmissverständlich.

Zwar beginnt ihr Ravel wie ein zerfetztes Echo, als faseriger Klangkörper und ferne Projektion: Europa nach dem Ersten Weltkrieg, schon lange verweht. Aber dann – „Let’s waltz, Mathilda!“, hatte Willi Steul vom Fördererkreis am Ende der wohltuend kurzen Festreden (Festivalchefin Gabriele Minz, für den BMW-Sponsor Maximilian Schöberl, Staatssekretärin Barbar Kisseler) gerufen – dann beschwört Lawrence Foster die Geister. Selbst dem Publikum fährt der Rhythmus in die Knochen, wenn der drahtige amerikanische Dirigent mit der Jugend von down under die Wiener Walzerseligkeit scharf absetzt von Ravels apokalyptischen Reiterspielen. So fix kann man kaum hören, wie sie auf dem Absatz kehrtmachen und die Stimmung kippt. Rausch und Rage, ihnen ist’s eins. Musik als hellwach machende Droge, viel Drive, reichlich Sauerstoff, ein furioser Festivalbeginn.

Die Australier, keiner ist älter als 25, formen plastisch jede Rundung aus, gestalten raumgreifende Klangkörper, auch bei Rachmaninows „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“. Der 21-jährige Pianist Lukas Vondracek sprintet mit den Fingerspitzen über die Tasten, als handele es sich bei den Variationen über das berühmte Teufelsgeiger-Thema um eine Verfolgungsjagd auf heißer Herdplatte. Ein Hochspannungsakt. Und die Musiker machen den Flüchtigen schnell wieder dingfest, bringen Rachmaninow auf den Punkt, um im nächsten Augenblick erneut Entfesselungskünste walten zu lassen. Ihre Spezialität, auch bei Béla Bártoks „Konzert für Orchester“: das präzise austarierte Accelerando als mitreißender Elementarteilchen-Beschleuniger. So viel Vitalität, keine Frage, ist eine Frage der Disziplin.

Wie sich nach der Pause erweist, liegt genau da das Problem. Die Feier des Diesseits hat ihren Preis: Hier kommt bei noch so hohem Tempo keiner ins Schleudern. Und ins Grübeln schon gar nicht. In James Ledgers Dschungel-Songbuch „Habits of Creatures“ (2004) erweisen sich die Bestien als zahme Geschöpfe. Tastende Chromatik, poröses Flechtwerk, Tierstimmengewirr – und doch irrlichtert nichts in diesem Urwald. Auch die Intensität von Bartóks „Konzert für Orchester“ (1943, ein Weltkriegsecho wie „La Valse“) bleibt Behauptung – als vor- und ausbuchstabierte Elegie.

Aber das sind Nachfragen, wie man sie Berufsmusikern stellt. Und Lust und Laune schließlich auch eine Kunst. Die Latte liegt hoch für alle, die noch kommen bis zum Finale am 20. August, aus Schottland, Ungarn und Italien, China und sogar aus Oman. Christiane Peitz

Infos unter www.young-euro-classic.de

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