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Kommentar: Staub und Nebel

Groegor Dotzauer über die Solidarität mit Milan Kundera

Von Gregor Dotzauer

Nein, sachlich gibt es in der seit drei Wochen unerledigten Causa Kundera keine Neuigkeiten. Die Solidaritätserklärung, die elf Autoren – unter ihnen die Nobelpreisträger John M. Coetzee, Gabriel García Márquez, Nadine Gordimer und Orhan Pamuk – nun im „Nouvel Observateur“ für Milan Kundera abgegeben haben, versucht nur, das Ruder einer öffentlichen Meinung herumzureißen, die sich nicht zuletzt deswegen gegen ihn wendet, weil er bis auf ein knappes, entschiedenes Leugnen der Anschuldigungen nichts zur Aufklärung beitragen will. Solange Kundera schweigt, leistet die Erklärung aber nichts weiter, als Staub in einer Angelegenheit aufzuwirbeln, über der ohnehin Nebel liegt.

„Eine Verleumdungskampagne gegen Milan Kundera wurde losgetreten, die den Ruf Kunderas beschmutzen soll, in dem sie ihm vorwirft, im Jahr 1950, als er in der kommunistischen Tschechoslowakei studierte, einen Verrat begangen zu haben“, heißt es in der auf perlentaucher.de veröffentlichten Übersetzung. Und weiter: „Es geht hier um die Beschmutzung der Ehre eines der größten lebenden Schriftsteller, und dies auf einer mehr als verdächtigen Grundlage“, die zuvor ein „Gerücht“ genannt wird.

Die Wortwahl ist in zweierlei Hinsicht ungenau. Immerhin hat sich das „Gerücht“ in einer schriftlichen Meldung bei der Polizei materialisiert, die dazu führte, dass der als Westagent verhaftete Miroslav Dvoracek zu 14 Jahren Zwangsarbeit in einem Uranbergwerk verurteilt wurde. Man kann nur den Wert dieser Quelle in Zweifel ziehen. Und von „Verleumdung“ kann nur reden, wer über die legitime Unschuldsvermutung hinaus eindeutige Kenntnisse des Sachverhalts besitzt. Zutreffend ist höchstens der Hinweis auf eine „Kampagne“ gegen den seit 1993 in der Sprache seines Exillands Frankreich schreibenden Autor. Aber auch ihre ahistorische Selbstgerechtigkeit lässt sich nicht mit einer pauschalen Verteidigung beantworten.

Es gibt, was den Vorgang selbst angeht, eine objektive Wahrheit. Sie ist nur nicht identisch mit der Schuld, die Kundera möglicherweise auf sich geladen hat. Sofern keine weiteren Akten auftauchen, bleibt es seine Tragödie, dass mangels anderer auskunftsfähiger Zeugen nur er selbst sich davon befreien kann. Wenn er die Größe hat, die man ihm nachsagt, entreißt er diese objektive Wahrheit der Fiktionalisierung seines um die Figur des Verrats kreisenden Werks und holt sie zurück in die Wirklichkeit. Es ist das Einzige, wobei ihm seine Freunde helfen können.

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