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Kultur: Kompass Kunst

Die Kulturhauptstadt Genua erinnert sich an ihre ruhmreiche Vergangenheit – und feiert die Rubens-Zeit

Rubens kam im Frühjahr 1604 zum ersten Mal nach Genua. Der Grund war zunächst ein pekuniärer: Er wollte sich vom Finanzier seines damaligen Dienstherren, dem Duca von Mantua, Spesen auszahlen lassen. Aber dann packte ihn die Stadt, ihr Reichtum überwältigte ihn. Er blieb und malte dort einige seiner schönsten Bilder für Genueser Auftraggeber. Ihre schlossartigen Palazzi dokumentierte er in einem – selbstfinanzierten – Buch, das sich europaweit verkaufte. Rubens habe Genua „international“ gemacht, so Piero Boccardo, der Kurator der Ausstellung „Das Zeitalter von Rubens“, die am Wochenende im Palazzo Ducale eröffnet wurde und noch einmal an die besondere Beziehung zwischen dem Barockmaler und der italienischen Metropole erinnert.

Genua? Für viele ist das heute eine bekannte Unbekannte am ligurischen Meer. Eine Hafenstadt, gewiss, ein Industriestandort, und vielleicht hat sich mancher auch schon durch den chaotischen Verkehr gewühlt, um zu den Mittelmeerfähren Richtung Korsika oder Sardinien zu kommen. Aber sonst? Jacob Burckhardt spottete, Genua wirke, „als hätten Kinder Theaterdekorationen vierten Ranges schräg und quer auf Felsen herum gestellt“. Ziemlich alt sehe Genua aus, schrieb auch Heinrich Heine, sogar „ohne Altertümlichkeiten“. Kurz: zu sehen gibt es hier eigentlich nichts. Für viele Italiener, für die meisten Europäer, hat sich daran bis heute nicht viel geändert.

Dass dieser Eindruck gründlich falsch ist, soll nun mit allen Mitteln des Marketing unters Volk gebracht werden. Die Seefahrt hat längst ihre führende Rolle im internationalen Transportwesen verloren, und vom Industriezeitalter sind nicht viel mehr als riesige Areale stillgelegter Fabriken und ein Haufen sozialer Probleme geblieben. Von der Kultur dagegen verspricht sich Genua Zukunft, Kunst und Architektur sollen neue Wertmaßstäbe setzen, die Wissenschaft als Standortfaktor dienen. Wenn es die Einrichtung einer europäischen Kulturhauptstadt nicht längst gäbe, Germano Celant hätte sie erfunden, um die „kulturelle Metamorphose“ seiner Heimatstadt auf dem ganzen Kontinent kund zu tun.

Germano Celant, Ausstellungsmacher und Theoretiker zeitgenössischer Kunstströmungen („Arte povera“) hat deshalb die Aufgabe eines „Supervisors“ für „Ge-Nova 04“ übernommen, das schon im Schriftzug die Novität unterstreichen möchte. Eine Operation in drei Phasen: jetzt im Frühjahr präsentiert sich die Stadt der schönen Künste, im Sommer die des Meeres und im Herbst die der „Gegenwärtigkeit“. Drei große Ausstellungen stehen dabei jeweils im Mittelpunkt: Rubens, „Die Zeit der Transatlantikschiffe“ im neuen Museum für Meer und Seeschifffahrt ab dem 29. Mai, und ab dem 2. Oktober im Palazzo Ducale „Arti&Architettura, 1900- 2000“, ein von Celant kuratierter Rundumschlag, der Kino und Kunst, Architektur und Theater, Design und Literatur des 20. Jahrhunderts miteinander verbinden will.

Nach einem fantasievollen Start ins Jahr (siehe Tagesspiegel vom 10. Januar) ist also Phase eins angelaufen: Gemälde aus Manierismus und frühem Barock im Palazzo Ducale. Wer – nach Antwerpen und Lille – die dritte große Rubensschau in diesem Jahr erwartet, findet anderes vor. Von den rund 140 Ausstellungsstücken stammen nur 14 vom flämischen Meister. Es geht vor allem um die Rubens-Zeit, die sinnbildlich zwischen seinen Lebensdaten 1577 und 1640 eingefangen wird. Damals war Genua eine echte europäische Hauptstadt, zumindest auf dem Handelssektor. Ein Zweig der Balbi-Familie finanzierte die spanischen Könige und handelte mit Antwerpen, ein anderer machte Geschäfte mit Mailand und Venedig. Die Doria hatten Kontore in Rom und Neapel, und die Spinola waren die besten Geschäftspartner der Augsburger Fugger. Dazu kamen die Grimaldi, die Pallavicino, die Raggi, die außer Finanzinteressen alle etwas gemeinsam hatten: sie sammelten die Kunst ihrer Zeit, meist aus der Gegend, in der sie ihre Geschäfte machten. Mit den von dort mitgebrachten Gemälden und Wandteppichen schmückten sie ihre neuen Stadtpaläste.

Mit Napoleons Erscheinen auf der europäischen Bildfläche und dem Ausbruch der großen Krise mussten die Genueser Kaufleute ihre Sammlungen versilbern; ihr Kunstbesitz verstreute sich in der ganzen Welt. Die jetzige Ausstellung aus Anlass des Kulturhauptstadt-Jahres ist ein Versuch, die einstigen Schätze wieder zusammenzuführen. Ein ungeheurer Reichtum an Farben und Motiven tut sich da vor den Augen der Besucher auf: Veroneses „Susanna und die Greise“, Tizians „Frau vor dem Spiegel“, Artemisa Gentileschis „Lucrezia“, Bilder von Jan Ross oder Ribera, Anton van Dyck oder Caravaggio, Paris Bordon oder Simon Vouet. Von Rubens finden sich „Juno und Argus“ aus Köln, der „Heilige Gregorius und andere Heilige“ aus Berlin. Die Sammlungen reihen sich wie kleine Museen aneinander.

Ähnlich wie einst die Palazzi, in denen sich ein Teil der Ausstellung fortsetzt, darunter das Stadthaus der Spinola. Andere frisch restaurierte Palazzi auf der Via Garibaldi sind ab April zu besichtigen. Gerade ist die Via Balbi mit dem Palazzo Reale und ihrer Pinakothek, dem Palazzo Balbi und der Universität im ehemaligen Jesuitenkolleg nach langer Bauzeit wieder eingeweiht worden. Kunst bedeutete für diese Familien Ansehen. Die Botschaft von damals, so Germano Celant, sei auch das Motto für heute.

Den Glanz der barocken Pracht nutzen seit Frühjahrsbeginn auch kleinere Kunstinitiativen: zum Beispiel die Villa Croce mit Beuys-Zeichnungen (bis 4. April); die Accademia Linguistica mit Gegenwartskunst im Netzwerk europäischer Akademien (ab 15. April) oder das Museo Ebraico mit Chagalls Bibelzeichnungen (ab 19. April). Vom jüdischen Museum ist es nicht weit zur Altstadt und zum alten Hafen, den Renzo Piano zu einem Kultur- und Freizeitzentrum umgestaltet hat. Diese Symbiose aus Tourismus und Kultur an Stelle von Zollschranken ist vielleicht das eindringlichste Symbol des neuen Genua. Einem Kulturunternehmer wie Rubens hätte solch eine Metamorphose bestimmt gefallen.

„Das Zeitalter von Rubens“: Palazzo Ducale Galleria Nazionale Palazzo Spinola, Galleria di Palazzo Rosso, Genua, bis 11. Juli,, Katalog (Skira, Mailand) 70 €uro. Informationen unter www.palazzoducale.genova.it

Henning Klüver

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