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Kultur: Kongo: Gefangen im Elend

Die Menschen hier sind hart im Nehmen. Seit Jahren leben sie im Angesicht der Rebellenkriege.

Die Menschen hier sind hart im Nehmen. Seit Jahren leben sie im Angesicht der Rebellenkriege. Goma, die Stadt im Ostkongo, die die Lavamassen jetzt unter sich begraben haben, galt immer als einigermaßen sicher. Drum herum waren vor Jahren die zahlreichen Flüchtlingscamps angesiedelt, drum herum wurde geschossen und sich bekriegt. Vielleicht ignorieren die Menschen auch deshalb den Appell vieler humanitärer Organisationen, sie mögen aus Sicherheitsgründen in den Flüchtlingscamps bleiben. Die Leute aber wollen nicht, denn für sie sind die Camps auch ein Synonym für den Krieg, für Elend und für den Tod. Sie wollen nach Hause, wollen aufbauen, sich durchbeißen - so wie sie es gewöhnt sind. Manch ein Katastrophenhelfer aus dem Westen kann dies nur schwer verstehen.

Drei Tage nach der Katastrophe sind fast alle Einwohner Gomas zurückgekommen, um die Schäden zu begutachten und um zu retten, was noch zu retten ist. Einige Glückliche finden ihr Haus noch bewohnbar vor. Die Menschen nehmen sehr hohe Risiken in Kauf. Tödliche Risiken. Am Montagmorgen gegen 9 Uhr Ortszeit erschütterte eine Explosion die Stadt, einem orangefarbenen Feuerball folgend schwärzte eine dicke Rauchwolke den Himmel.

Keiner konnte entkommen

Die Tankstelle "Chez Sisi" in der Stadtmitte war in Flammen aufgegangen - angezündet offenbar von heißer Lava. Plünderer hatten die Leitungen angezapft und Benzin in Kanistern abtransportiert - ein tödliches Unterfangen. Die Schätzungen über die Zahl der Todesopfer sind unterschiedlich: Der BBC, dessen Reporter vor Ort waren, spricht von 30 Toten, Azarias Ruberwa, Generalsekretär der in Goma regierenden Rebellengruppe RCD geht von 60 bis 100 Toten aus. Der Augenzeuge Kahokolo Kambale sagt, er habe 50 bis 60 Leute in der Tankstelle gesehen: "Keiner konnte entkommen."

Entgegen einer "Entwarnung" durch den örtlichen Vulkanologen Dieudonné Waffula haben die Vereinten Nationen an die Flüchtlinge appelliert, die Stadt Goma noch zu meiden und sich in den beiden Camps im benachbarten Ruanda versorgen zu lassen. Doch die Bevölkerung stimmt längst mit den Füßen ab - für ihre Stadt am Kivu-See. Das in der kalten Bergregion in Nkamira gelegene UN-Camp - 20 Kilometer von Goma - ist kaum gefüllt. Die grünen Wiesen vor den Luxushotels von Gomas Nachbarstadt Gisenyi waren vor Tagen noch belagert mit Flüchtlingen, doch sie leeren sich ständig.

Viele Menschen treibt die Sorge um, dass ihre Häuser geplündert werden könnten. Ordnungskräfte sind in Goma kaum zu sehen. Goma wird von den Menschen zurückerobert. "Was sollen wir in Ruanda, die nehmen hier nicht einmal unsere Kongolesischen Francs", sagt der 36-jährige Zollbeamte der RCD, Lambert Okito, der mit seiner fünfköpfigen Familie sein Bündel schnürt. Schalenkoffer, Gettoblaster und Aktentasche zeichnen ihn als einen der wohlhabenderen Bürger von Goma aus. Ein anderer, der im Zentrum von Goma steht, klagt über Hunger und Durst, will sich aber nicht aus der Stadt fortbewegen: "Hilfe muss hierher kommen." Die Zerstörung durch den Vulkan hat diesmal Arm und Reich getroffen, anders als 1977, als der Vulkanausbruch zahlreiche Dörfer zerstörte und 500 bis 2000 Menschen tötete, die Städter aber verschonte. Mitarbeiter vom Roten Kreuz, Ärzte ohne Grenzen, Caritas und dem Welternährungsprogramm der UN sind wieder vor Ort und haben ein Krisenkomitee gegründet.

Als erstes sollen die Trinkwasserpumpen der Stadt repariert werden, denn das Wasser des Kivu-Sees gilt wegen der Verschmutzung durch die Lavaströme und wegen seines hohen Methan-Gehaltes als ungenießbar. Auch eine teilweise Reparatur des Elektrizitätsnetzes werde begonnen. Schon am Sonntag hatten sich in der Stadt wieder die ersten ambulanten Händler gezeigt: Bananen, Avocados, Kaugummi und Zigaretten wurden an fliegenden Ständen verkauft. Am Montag eröffneten zaghaft auch wieder einige Läden, Fleisch und Mehl wurde angeboten. An Trinkwasserausgaben bildeten sich lange Schlangen. Mit Spannung wurde die Anfahrt eines Bulldozers verfolgt, der versuchte eine Lavasperre auf einer Durchgangsstraße zu beseitigen. Doch zunächst soll abgewartet werden, ob die Lava durchgehend erkaltet ist.

Klarheit durch Vulkanologen

Auch am Montag erschütterten Erdbeben die Stadt Goma, ein schweres Beben in der Nacht zum Montag war bis in die 120 Kilometer entfernte ruandische Hauptstadt Kigali spürbar. Nach Angaben des ruandischen Innenministers Jean de Dieu Ntihurunga hat sich an der Nordflanke des Vulkans Nyiragongo eine neue Spalte aufgetan und Lava in den Nationalpark Virunga ausströmen lassen. Klarheit könnte die Analyse von vier Vulkanologen aus Frankreich, den USA und Großbritannien bringen, die gemeinsam mit den Außenministern aus London und Paris in Kigali erwartet werden.

Zumindest politisch hat der Vulkanausbruch in der Demokratischen Republik Kongo etwas Positives ausgelöst: Die Zentralregierung in Kinshasa hat eine humanitäre Hilfe für die im Rebellengebiet liegende Stadt zugesagt. 1,4 Millionen US-Dollar kommen aus einem nationalen Solidaritätsfonds. Die Entscheidung von Präsident Kabila war in Kinshasa begrüßt worden, komme sie doch den "Brüdern" zugute.

Christhoph Link

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