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Tragisch. Lavinia (Maren Eggert) und Christine (Friederike Kammer). Foto: Eventpress

© Eventpress Hoensch

Kultur: Kontrollfreaks und Blitzkrieger

Diktatur des kleinen Formats: Stephan Kimmig inszeniert „Trauer muss Elektra tragen“ im Deutschen Theater Berlin

Ob Mord oder Selbstmord, ob Gift, Schusswaffen, Feuer oder Strang, in den Dramen des Amerikaners Eugene O’Neill wird viel und heftig gestorben. Der Literaturnobelpreisträger von 1936 – damals standen bei der Entscheidung der schwedischen Akademie Moral und Politik noch nicht so im Vordergrund – hatte den Todestrieb, er war ein schwerer Trinker, eine kaputte und ungeheuer produktive Persönlichkeit. „Trauer muss Elektra tragen“, die 1931 uraufgeführte Yankee-Version der „Orestie“ des Aischylos, ist angefüllt mit Ibsen’schem Familiengift und der blutigen, gewaltbeladenen Geschichte der jungen amerikanischen Nation. Die Götter haben ausgedient, die Menschen richten sich selbst, von Schuld und Hass getrieben. Elektra, die hier Lavinia heißt, wünscht sich eine „Hölle für die Guten“.

Dieses Monsterwerk, diese Orgie der Selbstzerstörung jagt Regisseur Stephan Kimmig durch die Zentrifuge. Zu heiß gewaschen und zu schnell: Die drei Teile und 13 Akte des Originals schnurren auf zwei Stunden zusammen, und die Figuren wirken nur deshalb körperlich so groß, weil die Bühnenbildnerin Katja Haß sie in einen niedrigen grauen Kasten stellt, ohne jedes Requisit. Anfangs wollen die Kostüme von Anja Rabes einen streng puritanischen Eindruck vermitteln – die Frauen tragen sperrige Reifröcke, hochgeschlossene Blusen –, nachher lockert sich die Kleiderordnung, laufen die Todgeweihten in zeitgenössischem Freizeitlook herum.

Die Aufführung strahlt, wie so viele Produktionen am Deutschen Theater, eine kühle Rationalität aus. Und sie hat etwas Verzwergtes, auch das ist die aktuelle Mode, nicht nur im Hause Khuon. Man schneidet sich die Tragödie handlich. Das Tragische wird unschädlich gemacht, ehe es sich entfaltet. Kimmig arbeitet exzessiv mit Blackouts. Der Vater kommt aus dem Krieg zurück, die Mutter hat einen Geliebten, die Tochter sinnt auf Rache, der Sohn, ein Kriegsversehrter, wird zum Spielball der Frauen. Die alte Geschichte. Die Szenen sind kurz gehalten, jede auf Pointe getrimmt. Und Licht aus! Sie sterben im Stehen und werden einfach abgeräumt, Hektik ersetzt Getriebensein.

In dieser ängstlichen Versuchsanordnung können die Schauspieler im Grunde nur Kostproben liefern, ihre Rolle kurz anspielen. Alles ist vom Ende her gedacht, das tötet die Spannung. Maren Eggert wäre mit ihrer offenen und zugleich dunklen Aura eine wunderbare Lavinia - nur kann sie nichts entwickeln. Ihre Ausbrüche wirken wie hysterische Explosionen ohne Vorwarnung, und dann schnell weiter im brutal verknappten Text. Seltsam unberührt, schön und mit fester Haltung steht die Generalstochter da, ihr Wahnsinn entlädt sich – so tun es hier alle – in enervierenden inzestuösen Knutschereien.

Bruder Orin hat einen starken Anfangsauftritt als traumatisierter Kriegsheimkehrer: Alexander Khuon lässt ahnen, dass sie ihn da draußen, wie er immer sagt, zu einer Killermaschine gemacht haben. Aber dann steht er aus dem Rollstuhl auf, als wäre nichts gewesen. Blackout! Auch nur flüchtig verläuft die finale Begegnung zwischen dem General und seiner Gattin: Stocksteif leidet Helmut Mooshammer, wird rasch abserviert. Seine Christine, die nicht mehr seine Frau sein will, verfällt ebenso plötzlich. Friederike Kammer gibt ihr eine gewisse Würde und Fallhöhe – aber niemand versteht, warum Mutter und Tochter dem panisch glotzenden Adam von Bernd Moss nachlaufen.

Nichts fließt, es stockt und ruckelt in dieser Tragödie-to-go, aufgeschäumt gleichsam mit fettarmer Milch. Das Unbehagen, das Quälende, das man empfindet, ist ein Phantomschmerz: Wer sollen diese Menschen sein, in welcher Zeit leben sie, was wollen sie damit sagen, wenn sie so dramatisch herumstehen und im nächsten Moment wieder in Gleichgültigkeit und Nettigkeit zurückfallen? O’Neill hat unter dem Einfluss der Freud’schen Psychoanalyse das antike Drama mit titanischer Anstrengung in die Gegenwart gehoben, das äußere Drama in die Seelen seiner Figuren gepresst. Kimmig quetscht ihn fade aus.

Man müsste über die Inszenierung nicht so viele Worte verlieren, wäre sie nicht bezeichnend für einen vorherrschenden Stil. Es ist die Diktatur des kleinen Formats. Kammerspiele allüberall. Darin steckt ein Misstrauen gegenüber den eigenen Möglichkeiten, ein geordneter Rückzug des Theaters von den Schlachtfeldern. Viele Regisseure agieren wie Kontrollfreaks, haben einen faulen Frieden mit der Dramatik geschlossen. Sie führen Blitzkriege, schicken Drohnen statt Soldaten, operieren blitzblank, blutleer. Dauer muss Elektra nicht ertragen. Zwei Stunden sind unter diesen Vorzeichen mehr als genug.

Wieder am 22., 27. 10. sowie 8., 11., 17. 11.

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