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Streicher des Orchesters

© Konzerthaus/Marco Borggreve

Konzerthausorchester: Ornamente in der Luft

Unter der Leitung des Dirigenten Andrey Boreyko spielt das Konzerthausorchester Mahler mal ganz experimentell - und entfaltet dabei seine volle Klangkunst.

Mit Staunen ist zu lesen, dass Max Bruch jahrzehntelang die Konzertsäle beherrschte. Denn „er ist einer unserer bedeutendsten Komponisten“ auf dem Gebiet der Chormusik, wo ohne Frage der Schwerpunkt seines Kunstschaffens liege. So steht es im Riemann-Musiklexikon um die Wende zum 20. Jahrhundert. Die Stoffwahl etwa von „Odysseus“, „Achilleus“, „Moses“ zu „Gustav Adolf“ nimmt sich nicht kleinmütig aus. Heute erinnert nur noch das erste seiner vier Violinkonzerte an den repräsentativen Komponisten seiner Zeit.

Dieses g-Moll-Werk mit der fünften Symphonie von Gustav Mahler zu kombinieren, ergibt ein aussagefähiges Programm. Einen goldenen Mittelweg sind beide nicht gegangen, der durchaus begabte Reaktionär, der Wagner und Richard Strauss ablehnte, wie der Fortschrittliche: Der Zeitgenosse verwehter Vergangenheit ist sich so sicher wie der Zeitgenosse der Zukunft. Dass die Musik Bruchs „geigerisch“ ist, macht das Stück bis heute verführerisch für Violinisten.

Als Solist des Konzerthausorchesters Berlin wird Vadim Gluzmann gefeiert. Der israelische Geiger spielt seinen Part sympathisch unraffiniert, klare Romantik, ohne der Süße des Adagios anheimzufallen, fast effektscheu. Da er als Partner des Orchesters musiziert, an dessen Pult Andrey Boreyko waltet, bricht durch den gediegenen Stil des Ganzen die meisterhafte Instrumentation Bruchs hervor.

Mahler ist Neuland für den Dirigenten

Die Interpretation der cis-Moll-Symphonie Mahlers ist sensationell zu nennen, weil ihr Wesen von Seiten des russischen Dirigenten aus experimenteller Sorgfalt besteht. Dazu entfaltet das Orchester alle seine unter Iván Fischer erworbene Klangkultur (bestes Beispiel die Gruppe der Celli im zweiten Satz).

Für Boreyko bedeutet Mahler noch Neuland, das jedoch mit sensibler Vorstellungskraft erobert wird. Zumal was diese vielen „unmerklich“ beschwörenden Vortragsbezeichnungen betrifft wie „langsamer, ohne zu schleppen“ oder „nicht zurückhalten“ mit dem lieblich „verlöschenden“ Trompetensolo von Jürgen Böhning oder „fließender, aber immer gemäßigt“ mit dem sonoren Klang des Hornsolos von Dimitry Babanov.

Interessant, dass Boreykos erster Interpretationsansatz Präzision heißt, Genauigkeit der Zeichengebung, die er mit und ohne Taktstock schlägt oder modelliert wie Ornamente in der Luft. Die von Mahler gewünschte Deutlichkeit der Einzelstimmen, die „Verschiedenstimmigkeit“ seiner Polyphonie verteidigt Boreyko mit gespannter Energie.

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