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Held in Designer-Trachtenweste. Peter Gabriel wurde von seinem „New Blood Orchestra“ begleitet.

© dpa

Konzertkritik: Peter Gabriel in der Berliner O2 World: Kratz mir den Rücken

Pop als sinfonische Dienstleistung: Der 62-jährige Sänger mit kahlem Charakterschädel, grauem Knebelbart und einer Art Designer-Trachtenweste tritt mit dem „New Blood Orchestra“ in der Berliner O2 World auf.

Peter Gabriel ist ein ernster Mensch, der sich für eine Menge ernster Sachen engagiert: Freiheit, Bürgerrechte, Dritte Welt, Amnesty International. Auch bei seiner Musik bemüht er sich um Ernsthaftigkeit. „No guitars, no bass, no drum kit“, lautet sein Credo, wie schon vor zwei Jahren bei seinem letzten Auftritt in Berlin. Der Weg führt von der U- zur E-Kultur. Statt Rock oder Pop macht Gabriel nun ernst, mit großem Sinfonieorchester.

Streng, fast bewegungslos steht der 62-jährige Sänger mit kahlem Charakterschädel, grauem Knebelbart und einer Art Designer-Trachtenweste vor dem „New Blood Orchestra“. Mit krächziger Soulstimme singt er „Wallflower“, ein Lied über das Elend politischer Gefangener in Lateinamerika. Den Song aus dem Jahr 1982 hat er sich von dem Bratschisten und Komponisten John Metcalfe in eine Orchesterfassung setzen lassen. Metcalfe, der auch schon für Morrissey und die Simple Minds arbeitete, ging Gabriels Fundus der letzten 35 Jahre durch und arrangierte viele Songs um. Eine Lightversion sinfonischer Klangdichtung.

Spötter behaupten, wenn Pop-Musikern die Ideen ausgingen, würden sie ein Album mit Coverversionen veröffentlichen oder eine Platte, auf der sie ihre alten Hits neu interpretieren, mit klassischem Orchester. Peter Gabriel hat beides getan. 2010 veröffentlichte er das Album „Scratch My Back“, eine Sammlung von Fremdkompositionen, und ein Jahr später „New Blood“, die orchestrierten Neubearbeitungen früherer Heldentaten. Aber braucht die Welt das wirklich – und was wäre der musikalische Mehrwert?

Für ein Orchester ist eine Sportarena wie die O2 World jedenfalls alles andere als eine Idealumgebung. Schön klingt es nicht, wenn ein sinfonischer Klangkörper dröhnt und schnauft wie eine Dampflok in der Bahnhofshalle. Wenn die Musiker große Kopfhörer tragen müssen, um zu hören, was sie spielen, wo sie eigentlich sind. „Secret World“ bröckelt bereits rhythmisch, bevor es vom mitklatschenden Publikum aufgefangen wird. Eine Bassrückkoppelung schießt durch den Song, dass sich einige Musiker irritiert an die Kopfhörer greifen. Und dann auch noch „Drums“: tosende Kesselpauken, tosender Applaus.

„Rhythm of the Heat“ sei die Geschichte eines Menschen, der völlig die Kontrolle über sich verliert, erklärt Gabriel – in fließendem Deutsch, wie alle seiner abgelesenen Ansagen. Als Höhepunkt erweist sich ein Song, der, wie Gabriel sagt, an diesem Abend erstmals von ihm öffentlich aufgeführt werde. Randy Newmans „That’ll Do“ glänzt mit feiner Zurückhaltung und einem sparsamen Arrangement. Zu „Solsbury Hill“, dem Hit, den Gabriel schrieb, nachdem er 1977 Genesis verlassen hatte, bekommen die Fans vom Orchester noch ein Stückchen Beethoven geschenkt. „Freude schöner Götterfunken.“

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