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Berliner Autorentage: Kopf: funktioniert. Herz: fehlt

Eines steht nach diesen ersten Berliner Autorentheatertagen am Deutschen Theater fest: Jungdramatische Talente werden künftig noch weniger Gelegenheiten bekommen, durchs engmaschige Fördernetz zu rutschen.

Wer hat eigentlich je behauptet, das Bett sei ein Schlafmöbel? Beim Regisseur Simon Solberg passt auf ein Matratzenlager das ganze Leben, vom Arbeitsamt bis zum Bartresen. Sex, so lautet die erste wichtige Erkenntnis aus der „Langen Nacht der Autoren“, wird ohnehin überschätzt. Die drei Zeitgenossen aus Julia Kandzoras Stück „In Neon“ jedenfalls – schlicht Mann, Freund und Frau genannt – kuscheln und kumpeln eher. Für die Generation Effizienz („Ich weiß, dass ich dich liebe, weil du der einzige Mensch bist, bei dem ich nicht das Gefühl habe, meine Zeit zu verschwenden“) muss paartherapeutisches Wollsocken-Yoga das Höchste der erotischen Gefühle sein.

Der Beitrag der 28-jährigen Kandzora – Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig – läutete am Samstag die Schlussrunde der ersten Berliner Autorentheatertage am Deutschen Theater ein. Traditionsgemäß endete das mit hochrangigen Gastspielen vollgepackte Gegenwartsdramatik-Festival, das DT-Intendant Ulrich Khuon in seiner Hamburger Thalia-Zeit etabliert und nun erstmals in Berlin präsentiert hat, mit Werkstattinszenierungen wenig bekannter Autoren. Vier Stücke, die der Filmkritiker Michael Althen als Alleinjuror aus 160 Einsendungen ausgewählt hatte, waren nacheinander in etwa einstündigen Ad-hoc-Inszenierungen zu sehen. Der angenehme Improvisationscharme, den diese von etablierten Regisseuren und Schauspielen in maximal zehntägiger Probenarbeit auf die Bretter gehauenen Arbeiten versprühen, gehört ebenso wesentlich zu diesem Marathon wie die halbstündigen Umbaupausen: genügend Zeit für das frühlingshaft aufgekratzte Publikum, sich auf dem Theatervorplatz zu Bier, Bratwurst und Brezel zu versammeln.

Schön an Althens Top Four ist die Tatsache, dass sie sich in keinen Trend pressen lassen: Während etwa Katharina Schmitts „Sam“ einen von Samuel Finzi nicht ohne feine Ironie performten Performer bespiegelt, der sich ein Jahr lang selbst als Kunstwerk in einem Käfig präsentiert, stellt sich der 40-jährige Carsten Brandau in der „Fabelhaften Familie Baader“ Gudrun Ensslin und Andreas Baader als spießiges Ehepaar mit besten Boulevard-Bühnen-Chancen vor. Am ehesten lassen sich die Arbeiten von Julia Kandzora und ihrer 21-jährigen Kollegin Laura Naumann vergleichen. Denn Naumanns „süßer vogel undsoweiter“ – inszeniert von Alexander Riemenschneider - könnte prinzipiell ebenso gut in dem überdimensionierten Bett spielen, in dem sich die etwas ältere „In-Neon“-Generation räkelt. Auch hier kommen die Figuren – in diesem Fall sechs Teenager aus einer Provinzstadt – keinen Schritt voran. Egal, ob auf dem Arbeitsamt, in der ultimativen Yogastellung oder im hinterletzten Kaff: Man hängt irgendwie fest, konstatiert, dass einem „der Lebensentwurf fehlt“ oder „alles eine Frage des Time-Managements“ ist und geht mit austauschbaren Sätzen austauschbare Kurzzeitbeziehungen ein. „Das Herz ist gestorben an der Supermarktkasse“, sinniert der Mann bei Kandzora. Und Naumanns Provinzler/innen ziehen mit der Selbstdiagnose nach: „Kopf, Hirn: funktioniert. Herz: fehlt.“

Der fehlende Muskel schlägt sich sprachlich insofern nieder, als statt dramatischer Personen eher Sprachrohre auftreten, die gern in monologischen, bisweilen prosaaffinen Textblöcken den offenbar generationstypischen Anforderungs- und Befindlichkeitssound wiedergeben. So gesehen kann die interessanteste Frage bei einer 21-jährigen bzw. 28-jährigen Autorin weniger die nach dem Status quo als vielmehr die nach dem Potenzial sein. Kurzum: „Nicht mal meine Scheiße riecht mehr nach mir selbst, sondern nur nach den Produkten, die ich konsumiert habe.“

Eines steht nach diesen ersten Berliner Autorentheatertagen fest: Jungdramatische Talente werden künftig noch weniger Gelegenheiten bekommen, durchs engmaschige Fördernetz zu rutschen. Ulrich Khuon – seit jeher ein Entdecker zeitgenössischer Autoren – platziert dieses neue Instrument in eine gut ausgebaute Infrastruktur. Für nahezu jede Hauptstadtbühne gehört die Autorenförderung mittlerweile zum Standard. Das Maxim Gorki Theater bringt Jungdramatiker in ostdeutschen Schrumpfstädten mit Soziologen zusammen, das Theatertreffen featured sie in seinem „Stückemarkt“, die Schaubühne präsentiert sie nach länderspezifischen Schwerpunkten beim internationalen „F.I.N.D.“-Festival.

Ob dieser quantitative Overkill auf Kosten der Qualität geht oder aberjungen Talenten tatsächlich Zutritt zu einem früher wesentlich stärker abgeriegelten Markt verschafft, der sich letztlich zuverlässig selbst reguliert, darüber wird seit Jahren in prominent besetzten Foren gestritten. Als Zuschauer hat man jedenfalls den Eindruck, viel nicht zu Ende Gedachtes zu erleben, dem man gern mehr Reifezeit gönnen würde. Falls das der Preis für das Wachstum neuer Jelineks, Lohers oder Polleschs ist: gut.

Als Publikumserfolg dürfen Khuons Autorentheatertage allemal gelten: 6098 Zuschauer sahen insgesamt 25 Vorstellungen – darunter so hochkarätige Gastspiele wie Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“ von den Münchner Kammerspielen. Man wird sehen, wie sich das Festival in der Berliner Landschaft etabliert. Das Programm, das Khuon und seine Dramaturgie auch dank großzügiger Stiftungen auf die Beine stellen können (allein die Lotto-Stiftung Berlin beteiligte sich mit 500 000 Euro), ist attraktiv. Dass die Auswahl mit der des diesjährigen Berliner Theatertreffens konkurriert, dürfte allerdings in erster Linie daran liegen, dass die Auswahljury dieses wichtigsten deutschsprachigen Theaterfestivals überdurchschnittlich viele Gegenwartsstücke unter den bemerkenswerten Produktionen der Saison gefunden hat. Ansonsten sind dies zwei verschiedene Theater-Schuhe.

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