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Am Wochenende verteilten Salafisten in mehreren Städten die Deutsche Ausgabe des Korans. Ihn wirklich zu verstehen dürfte Menschen ohne muslimischen Hintergrund aber sehr schwer fallen.

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Koran und Sunna: Halbwegs bibelfest sollte der deutsche Leser sein

Die islamistischen Salafisten verteilen an vielen Orten in Deutschland Korane. Ohne Vorkenntnisse ist die Schrift aber gar nicht zu verstehen, besonders nicht für Menschen mit christlicher Prägung. Dazu bräuchte man ein weiteres Buch.

Lies den Koran – so lautet die Aufforderung der Salafisten, die derzeit in Deutschland kostenlose Exemplare der heiligen Schrift der Muslime verteilen. Doch das ist einfacher gesagt als getan. Denn selbst in einer deutschen Übersetzung, welche die Schönheit der früharabischen Sprache nur schwer einfangen kann, ist der Koran ein schwer verständliches Werk – für Nicht-Muslime wie für Muslime.

Muslime haben aber in der Regel den Vorteil, dass ihnen wesentliche Inhalte durch vielfältige Rezitationen zumindest vom Hören vertraut sind, auch wenn sie deren Bedeutung nicht unbedingt verstehen. Christen sind eher an der Lektüre von Altem und Neuem Testament geschult, die teilweise chronologischen Geschichtsbüchern ähneln. Die Koran-Lektüre dürfte sie zunächst ratlos lassen.

Das liegt vor allem an der Struktur des Textes, den Muslime als Offenbarung Gottes an den Propheten Mohammed ansehen. Er besteht aus 114 Suren, die nicht inhaltlich oder chronologisch geordnet sind, sondern nach ihrer Textlänge. Nach der Eröffnungssure, der Fatiha, folgt die längste Sure – gegen Ende des Korans werden die Suren immer kürzer. Damit wechseln medinische Suren, die aus der Zeit in Medina stammen, wohin sich die kleine Urgemeinde geflüchtet hatte und wo sie Regeln für ihre Gemeindeleben aufstellte, mit jenen aus früherer Zeit, vor der Berufung Mohammeds im Jahr 622, als er noch in Mekka lebte. Die vielen Begebenheiten aus dem Leben Mohammeds – etwa die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Anfangszeit mit den jüdischen Stämmen und jenen, die der Vielgötterei anhingen – werden nicht explizit erzählt, sondern auf sie wird nur angespielt. Ohne Vorkenntnisse ist oft nicht zu verstehen, worum es eigentlich geht. Denn Leben und Wirken Mohammeds sind in der sogenannten Sunna niedergelegt, die für die Interpretation des Koran stets herangezogen wird.

Salafisten verteilten in vielen deutsche Städten Korane: sehen Sie die Bilder

Auch die Berichte über frühere Propheten – darunter Abraham, Moses und Jesus – sind über viele Suren verteilt und oft nicht auserzählt. Hier hat der halbwegs bibelfeste Leser den Vorteil, dass er den Stoff aus der eigenen Heiligen Schrift kennt. Er muss nur sein Befremden über die neue Sichtweise überwinden, wenn beispielsweise verneint wird, dass Gott einen Sohn hat

Die einzelnen Stellen des Korans sind in sich oft widersprüchlich

Die Suren haben Titel – aber diese dienten eher als Merkzettel für das Auswendiglernen und geben oft nur ein Wort und nicht den Hauptinhalt der Sure wieder. So geht es in der zweiten Sure „Die Kuh“ zwar auch um ein Schlachtopfer, aber vorrangig um zentrale Glaubensinhalte. Die Sure „Die Frauen“ enthält nur einen Teil der Abschnitte im Koran, die dezidiert Frauen betreffen. Weitere Verse dazu sind auf andere Suren verteilt. Denn gerade die langen Suren bilden eine Aneinanderreihung einzelner Sequenzen, die inhaltlich lose oder gar nicht verbunden und daher für eine Lektüre von Anfang bis Ende ungeeignet sind. Da folgen auf praktische Handlungsanweisungen Preisungen des einen Gottes, Texte über die Propheten oder Warnungen vor dem Endgericht, ohne unmittelbaren Zusammenhang.

Erschwerend kommt hinzu, dass die einzelnen Stellen in sich oft widersprüchlich sind, weil zwischen ihrer Offenbarung Jahrzehnte liegen können. Sucht man beispielsweise nach der im Westen vielleicht bekanntesten Rechtsbestimmung des Koran, dem Alkoholverbot, dann liest man in Sure 4, Vers 43: „Ihr Gläubigen! Kommt nicht betrunken zum Gebet, ohne vorher (wieder zu euch gekommen zu sein) zu wissen, was ihr sagt!“ Trunkenheit soll also nur beim Gebet vermieden werden? Sure 2, Vers 219 zeigt, dass die Gemeinde eine Klärung wünschte, denn da heißt es: „Sie fragten dich nach dem Wein...“ und in Sure 5, Vers 90 gibt es dann die endgültige Antwort: „Wein, Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind Gräuel und des Satans. Meidet es! (...) Der Satan will durch Wein und Losspiel nur Feindschaft und Hass zwischen euch aufkommen lassen und euch vom Gedenken Gottes und vom Gebet abhalten.“ Nach (nicht immer unumstrittener) herrschender Lehre heben zeitlich spätere Suren die früheren auf. Nicht umsonst gehört die Exegese des Koran zu den wichtigsten islamischen Wissenschaftsdisziplinen, die durch große Pluralität geprägt ist und von Beginn an war.

Was dem deutschen Nicht-Muslim in jedem Fall entgeht, ist die spirituelle Dimension, die durch die öffentliche Rezitation der Koransuren entsteht, welche konzeptionell eng mit Gebet und Glaube verbunden ist. Das Wort Koran bedeutet ja Lesung, Rezitation oder Vortrag. Die Schönheit der rhythmischen Prosa und Lyrik, die in verschiedenen Geschwindigkeiten in einem melodischen Sprechgesang vorgetragen wird – diese sinnliche Erfahrung wird man bei der reinen Lektüre der Schrift nicht machen.

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