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Staatsoper

© Heinrich

Kostüme: Alter Wein auf neuen Schleppen

Kleider machen Könige: Bettina Walter hat die aufwändigen Kostüme für Händels „Belshazzar“ an der Staatsoper kreiert.

Der Wein schäumt aus den Flaschen, schwappt über goldene Schalen, ergießt sich auf weiße Leinenhemden, helle Filzgewänder und pastellfarbene Chiffonkleider. Halt!, möchte man rufen – Vorsicht mit den kostbaren Stoffen! Aber was kümmert das König Belshazzar, wenn er mit seinem Gefolge ein Trinkgelage feiert. Der Herrscher Babylons hat genug Sklaven, die den Reichtum seiner Stadt täglich mehren. Für Kostümbildnerin Bettina Walter aber stellen die blutrot durchtränkten Roben schon ein Problem dar.

Wenn die Besucher nach der Premiere von Händels „Belshazzar“ am Sonntag aus der Staatsoper strömen und die Künstler in der Kantine feiern, beginnt für Bettina Walter und ihre zehn Mitarbeiterinnen ein Knochenjob. 40 wertvolle Gewänder müssen gewaschen, gebürstet, gedämpft und in Trockenschränken aufgehängt werden. „Gerade die empfindlichen Wollstoffe sollten sofort vorsichtig per Hand gereinigt werden“, sagt die Textilexpertin. Würde man sie mit scharfen Seifen oder heißem Wasser „erschrecken“, wären sie sofort hinüber.

Damit scheidet echter Rotwein für die ausgelassenen Bühnen-Orgien aus, denn diese Flecken halten sich bekanntlich hartnäckig in den Fasern. Theaterblut der Hamburger Firma Safex muss also her. Bettina Walter verwendet das sehr leicht lösliche „C-Blut“, das ein wenig nach Pfefferminz schmeckt und zumindest in geringen Mengen trinkbar ist.

„Es klingt nach einer kunsthandwerklichen Entscheidung, die Kostüme so aufwändig herzustellen. In Wirklichkeit ist es aber eine inhaltliche“, weiß sie aus 25-jähriger Erfahrung. Gerade bei dieser Produktion sei ein schlüssiges Kostümbild besonders wichtig, denn Händels „Belshazzar“ ist eigentlich gar keine Oper, sondern ein dramatisches Oratorium. In Christoph Nels Theatralisierung muss der RIAS Kammerchor in gleich drei unterschiedliche Rollen schlüpfen: Er mimt die dekadenten Babylonier, die persischen Eroberer und die geknechteten Israeliten. Während der gesamten Aufführung dürfen die Sänger die Bühne nicht verlassen, müssen sich jedoch sekundenschnell von einer in die andere Volksgruppe verwandeln können. Auch wenn Bettina Walter unter anderem in Paris und Salzburg schon Kostümkonzepte für Opern mit mehreren Hundert Sängern entwickelte, gesteht sie: „Das ist für mich eine echte Herausforderung.“

Bereits Anfang November begann der Ideenaustausch mit Regisseur Christoph Nel und Bühnenbildner Roland Aeschlimann. Schließlich entstanden zarte, in Seide, Leinen und Baumwoll-Batist gewirkte Filzgewänder. „Denn Filz ist ein Material, dass es seit über zweitausend Jahren gibt. Es ist ein lebendiger Stoff, der wärmt und kühlt und der sich den Formen seiner Träger perfekt anpasst“, schwärmt die gelernte Bildhauerin, die Kostümgestaltung als kreative Arbeit am Körper betrachtet.

Jedes ihrer Gewänder ist ein Unikat, das den einzelnen Chorsänger durch raffinierte Details und unterschiedliche Farbnuancen als Individuum zeigt, ohne den homogenen Gesamteindruck der Gruppe zu stören. Dezente Accessoires versinnbildlichen die drei Völker, die der Chor abwechselnd verkörpert.

Die fünf handlungstragenden Solisten heben sich durch noch aufwändigere, farbige Kostüme von der Menge ab. „Sie stehen aber trotzdem nicht wie isolierte Scherenschnittfiguren für sich, sondern sind ästhetisch über die Filzbrücke mit dem Chor verbunden“, erklärt Walter. Außer zu ihren Studenten an der Kunsthochschule Straßburg spricht sie eigentlich nur ungerne über Konzepte: „Jeder Zuschauer hat doch seine eigenen Assoziationen. Ich gebe keine Deutungsansätze vor.“

Unerlässlich ist dagegen die ständige Abstimmung mit dem Regisseur, vor allem in der ersten, konzeptionellen Phase. Wenn sich erst am Ende herausstellt, dass die Ideen der Kostümbildnerin zu stark von denen des Regisseurs abweichen, kommt es schnell zur Katastrophe. Auch das ist Bettina Walter im Verlauf ihrer Karriere einige Male passiert. Inzwischen weiß sie, was alles schief gehen kann, und sucht deshalb von Anfang an das Gespräch.

Trotzdem ist die letzte Woche vor der Premiere immer die aufregendste. Wenn die Darsteller die Kostüme, Perücken und Masken zum ersten Mal tragen, muss meistens noch viel geändert werden. Hosen sind zu lang oder zu weit, Schuhe drücken, Stoffe werden als zu grell empfunden und müssen umgefärbt werden. „Wenn ein goldenes Kleid durch einen Waschgang noch ein bisschen Glanz verlieren soll, kann es auch vorkommen, dass das Kleid anschließend völlig entfärbt. Dafür aber ist dann die Waschtrommel vergoldet“, berichtet Walter von Schreckensmomenten ihres Berufslebens, über die sie nach einiger Zeit immer lachen kann.

Wenn René Jacobs am Sonntag die Akademie für Alte Musik dirigiert und Kenneth Tarver als König Belshazzar immer wieder another bowl!, eine weitere Schale Wein fordert, um sie genüsslich über die teuren Kostüme zu vergießen, dann werden hinter den Kulissen schon die Garderobieren mit lauwarmen Wasserschüsseln warten. Und zur nächsten Vorstellung am Dienstag wird wieder alles sauber und trocken sein.

Premiere: 1. Juni, Staatsoper. Weitere Vorstellungen: 6., 7. und 10. Juni.

Karin Erichsen

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