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Kein Heldenporno: Trainingsmethoden im Boxerfilm "Koza". Regie: Ivan Ostrochovský.

© Martin Kollár

"Koza" auf der Berlinale: Auf die Fresse

Schlägerei im Forum: Mit echten Treffern und blutigen Nasen erzählt Ivan Ostrochovský ein bitteres Boxerdrama. Weit entfernt von glamouröser Rocky-Quälerei.

Olympische Sommerspiele, Atlanta, 1996. Erste Runde, Halbfliegengewicht, bis 48 Kilo. Der Slowake Peter Baláž boxt gegen La Paene Masara, Indonesien. Die beiden tänzeln, schwitzen unterm Helm, die Fäuste fliegen. Baláž greift an, Masara nimmt die Deckung hoch: „Schöner Treffer“, sagt der Kommentator aus dem Off, „aber leider keine Wertung“.

Und Ende, ausgeschieden in der ersten Runde. Und doch war Olympia für Peter Baláž der größte Erfolg seines Lebens. In „Koza“ zeigt der slowakische Regisseur Ivan Ostrochovský den Boxer, wie der sich seinen alten Kampf auf Video ansieht. Baláž, genannt Koza, die Ziege, stellt sich selbst dar in diesem liebevoll bitteren Spielfilm. In dieser Szene zeigt er keine Regung, so wie er auch sonst sehr stoisch hinter seiner plattgedroschenen Riesennase hervorguckt.

„Alles real“, sagt Ivan Ostrochovský

Gespräch mit dem Regisseur, der 2014 mit „Velvet Terrorists“ den Preis der Tagesspiegel-Leserjury gewann. Zu Beginn steht eine Bestürzung: Das Haus, in dem er seine Hauptfigur zeigt – hier wohnt er tatsächlich, der echte Peter Baláž? In dieser trostlosen Bruchbude unter der Autobahnbrücke, zwischen Matsch, Müll und zerfallenen Schuppen? Mit Frau und kleiner Tochter? „Alles real“, sagt Ivan Ostrochovský, ein Bär mit Brummelstimme. „Wir hatten gar kein Geld für Kulissen.“

Ostrochovský ist gelernter Dokumentarfilmregisseur. Schon in „Velvet Terrorists“ begleitete er (mit seinen Kollegen Peter Kerekes und Pavol Pekarcík) drei Männer, die in den 80er Jahren in der Tschechoslowakei als Terroristen im Gefängnis saßen. Er zeigte den heutigen Alltag der gealterten Rebellen – und ließ sie in theatral wirkenden Reenactments ihre Taten nachinszenieren.

Ivan Ostrochovský, Jahrgang 1972, und Peter Baláž, Jahrgang 1974, kennen einander seit ihrer Kindheit. Irgendwann war da die Idee für eine Doku – aber bei einem Spielfilm ist man freier (Drehbuch: Marek Lešmcák). Also: Realität plus X. Vor vier Jahren begann die Arbeit an „Koza“ – „wir konnten ja immer nur im Winter drehen“, sagt der Regisseur. Es sind dann auch die verschneiten Einöden, die schneematschigen Straßen, die die Filmwelt prägen. Stille, klare, bedächtige Bilder (Kamera: Martin Kollár). Knorrige Laiendarsteller. Armut, Verfall. Hier gelten einfache Regeln. Es geht es nur darum, durchzukommen.

Kozas Leben ist ein Kampf

Koza braucht 400 Euro. Seine Freundin ist schwanger, will aber das Kind nicht (real), es gibt schon eine Tochter, und schon jetzt sei Koza überfordert. Was tun? Mit Schrottsammeln (auch real) kriegt er die Kohle nicht zusammen. Um Kredit gebeten, sagt der vierschrötige Alteisenhändler Zvonko (ständig rauchend: Zvonko Lakmevim) zu Koza: „Krieg das Kind, spar 400 Euro.“ Aber dann schwingt er sich doch zum Manager, Trainer, Ausbeuter auf: Koza, längst raus, längst kaputt, soll wieder in den Ring, für ein paar Kröten pro Kampf. Blöd nur, dass er immer schon in der ersten Runde zu Boden geht. Der Road-Trip der beiden Loser gerät zum Leidensweg. Training: Hinterm Auto herjoggen. Doping: rohes Ei. Bezahlung: keine.

Kozas Leben ist ein Kampf. Er hat keine Chance, aber er nutzt sie. Der Film ist kein Heldenporno wie „Rocky“, von den Fights sieht man nur unglamouröse Totalen, Punch, Punch, Haken – alles echte Treffer, übrigens. Und Kozas blutige Nase danach, das Ausrotzen unter der Dusche, die lautlose Fahrt im Krankenwagen. Die Herrschaften im Publikum nippen am Weinglas.

10.2., 12.30 Uhr (Arsenal), 13.2., 21.30 Uhr (Cinestar 8)

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