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Joachim Sartorius' Liebeserklärung an Zypern: Kredit für Aphrodite

Joachim Sartorius hat als Diplomat lange auf Zypern gelebt. Das neue Buch des Publizisten und Dichters ist eine autobiografische Hymne: „Mein Zypern“.

Eine „Schocktherapie von enormen Dimensionen“ prophezeit der zyprische Finanzminister Charis Georgiadis seinen Landsleuten. Die Bilder wartender Kunden vor geschlossenen Bankfilialen gingen um die Welt. Um den Eigenanteil für das EU-Rettungspaket aufzubringen, sollen im griechischen Südteil Zyperns sogar die Casinos wieder öffnen dürfen, was die kommunistische Vorgängerregierung im Verein mit der orthodoxen Kirche bislang zu verhindern wusste.

Joachim Sartorius waren solche Etablissements bereits Mitte der achtziger Jahre aufgefallen. Auf dem Weg nach Limassol im Süden der Insel fand er die Küstenstraße von „Hotelkästen, Billigrestaurants, Casinos und Spielsalons, schnell hochgezogenen Apartmenthäusern“ verschandelt. Dass nach Irland nun auch die Heimat der Liebesgöttin Aphrodite als „Kriseninsel“ gilt, muss den Zypern-Kenner schmerzen. Zwanzig Jahre verbrachte der Jurist, Schriftsteller und Übersetzer im diplomatischen Dienst in New York, Istanbul und Nikosia. Während der drei Jahre auf Zypern erlaubte es ihm der Diplomatenstatus, zwischen der griechischen Republik Zypern und dem international nicht anerkannten türkischen Nordteil hin- und herzureisen.

Zwei Sommer genoss die Familie in Lapithos an der Nordküste, im einstigen Feriendomizil von Sir Austen Harrison, dem letzten Architekten der britischen Krone. Heillos verliebt habe er sich in dieses Anwesen inmitten eines Zitronenhains, schreibt Sartorius. „Harrison House“ entstand auf den Überresten eines antiken Weinkellers. Lawrence Durrell nannte es in seinem Buch „Bitter Lemons of Cyprus“ das „schönste Haus des ganzen östlichen Mittelmeeres“. Durrell pries die Kunst des Müßiggangs als die größte der lokalen Künste, gemünzt auf das Kloster Bellapais, vor dem der „tree of idleness“ Schatten spendet.

„Um uns herum glühten die Mauern honiggelb in der Mittagssonne“, erinnert sich Sartorius an seinen Besuch in Bellapais: „Wie waren die Steine nur zu dieser Farbe gekommen? Indem sie jahrhundertelang dieses Licht einsogen, es in sich abgelagert haben? Feste Waben aus gelbem, uraltem Licht?“ In solchen Fragen offenbart sich der Lyriker, der in seinen Poesiebänden „Hôtel des Étrangers“ und „Keiner gefriert anders“ den Kultur- und Geschichtsraum des Mittelmeers aufruft, das Mare Nostrum.

Joachim Sartorius’ autobiografisches Vademecum „Mein Zypern“ erscheint zur richtigen Zeit. Inmitten der Krise vermittelt es so etwas Trost und Würde, gespeist aus der überreichen Vergangenheit. Zypern, so ist zu erfahren, diente als Spielball von Großmächten wie Rom und Byzanz, der Republik Venedig oder des British Empire, von dem es 1960 unabhängig wurde. 1974 erfolgte die türkische Invasion und faktische Zweiteilung der Insel. Sartorius schildert am Beispiel des antiken Stadtstaates Salamis, wie souverän dieser mit „Aufschwüngen und Untergängen“ umging, bevor er im siebten Jahrhundert nach Christus von einem Erdbeben und später von arabischen Invasoren geschleift wurde. Noch heute findet man steinerne Zeugnisse der einstigen Pracht.

Sartorius konterkariert die Baedeker-Tendenzen seines Buches durch gelegentlich flapsige Adjektive und zahlreiche Dialoge, die er aus der Erinnerung rekonstruiert. Er führte diese Gespräche rund um das sogenannte Zypern-Problem häufig im Hause der Schriftstellerin und Malerin Niki Marangou in Nikosia. „Warum schauen wir immer nach Westen?“, zitiert Sartorius einen Freund: „Zypern liegt in der östlichsten Ecke des Mittelmeeres. Die Spitze des Karpas deutet auf den Orient. Das erklärt vieles: die Gastfreundschaft, die Sinnlichkeit, aber auch die Lethargie der Zyprioten.“

Dreißig Jahre später, die türkisch-griechische Demarkationslinie ist längst durchlässig geworden, kehrt Joachim Sartorius zurück; da hatte er zehn Jahre lang die Berliner Festspiele geleitet. In Lapithos muss er feststellen, dass der Strand zu Füßen seines Traumhauses mit Betonbungalows verbaut wurde. Geckos, die damals auf der Terrasse auf ihn zu warten schienen, gebe es dort längst nicht mehr, merkt er an, denn sie seien nicht DDT-resistent. Er beklagt die „Abschaffung der Herrschaft des Schönen, einen neuen, billigen Reichtum, der auf Licht und Landschaft keine Rücksicht nimmt“.

Joachim Sartorius’ melancholische Begeisterung wirkt ansteckend. Ähnlich wie Durrells „Bitter Lemons“ ist „Mein Zypern“ eine kritische Liebeserklärung – nicht in Zitronen-, sondern im Sonnengelb von Bellapais.

Joachim Sartorius: Mein Zypern oder Die Geckos von Bellapais. mareverlag, Hamburg 2013. 192 Seiten, 18 €.

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