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Kultur: Krieg ist, wenn alles in Fetzen hängt

Recken von links, Recken von rechts: Die Oper Frankfurt entdeckt mit „Fierrabras“ den wackeren Musiktheatermann Franz Schubert

Von Christine Lemke-Matwey

Am Ende war wohl alles einfach ein bisschen zu schlimm. Die dreckigen Vaterlandskriege, der richtige Glaube, die falsche Liebe – und dass Karl der Große, dieser fiese Machtbolzen, sich plötzlich doch noch einsichtig zeigt. Das lieto fine jedenfalls, das glückliche Ende einer unglücklichen Geschichte, kommt entschieden zu spät: Die Sarazenenprinzessin Florinda nestelt seit mindestens zwei Szenen augenrollend an ihrem angekokelten Gewand, ihr Bruder Fierrabras, der Ritter mit der eisernen Faust, ist im Kampfesdelirium begriffen und zerteilt, ganz ohne Schwert, mit riesigen Rundumschlägen die Bühnenluft, der Ritter Roland wiederum rutscht auf blutigen Knien durchs Geschehen, während Emma, das liebreizende Christenkind, sich einen Brautschleier überwirft, den sie niemals tragen wird, und der zarte Eginhard, ihr Auserwählter, seiner Klampfe nachtrauert, der durch das böse Heidenvolk übel mitgespielt wurde.

Durch das letzte Bild aus Tilman Knabes handwerklich erbärmlicher, geradezu laienhafter Frankfurter Inszenierung von Schuberts Oper „Fierrabras“, geht ein Ruck. Haltung!, rufen sich der Regisseur und die Dramaturgie hier zu (und vielleicht stimmt auch Bernd Loebe in diesen Chor mit ein, der neue Intendant der Oper Frankfurt), wir müssen Haltung! zeigen. Wir müssen dem Publikum und vor allem: uns selber erklären, warum Franz Schubert vielleicht doch und allen hämischen Vorurteilen der Musikgeschichte zum Trotz so etwas wie ein Opernkomponist gewesen ist, und warum wir ausgerechnet dieses Stück spielen; wir müssen sagen, dass wir an das läppische Happy End nicht glauben wollen, mit dem Josef Kupelwieser, der Librettist, seine unselige Textklitterung aus dem „Rolandslied“, der Sage „Eginhart und Emma“ und Calderons „Brücke von Mantible“ beschließt – und das Schubert in unverdrossen gut gelaunte, beiläufige Balladentöne setzt. Also werden am Ende, wie gesagt, mal eben alle verrückt. Weil dieses Mittel immer probat ist, und weil es nach knapp drei Stunden Oberammergau mit Musik schon etwas kräftigerer Regie-Geschütze bedarf, um die besagte Haltung! doch noch an den Tag zu legen. Und weil Krieg nun einmal schlimm ist. Das weiß übrigens auch Birgitta Lohrer-Horres, die Kostümbildnerin, deren unsagbar unansehnliche Kleider (blaue Uniformen mit Ritterrüstungsversatzstücken für die Christen, rote für die Heiden, schlecht sitzende Zweireiher für die Herren Machtbolzen, burgfräuleinhaft Wallendes für Florinda und ein knatschblaues Babydoll für Emma) sich immer weiter auflösen, als hätten sie den Mottenfraß. Krieg ist, wenn endlich alles in Fetzen hängt.

Vielleicht muss man Tilman Knabe und seinem Bühnenbildner Alfred Peter – der Raum zeigt einen zerklüfteten Betonbunker - aber auch dankbar sein. Dafür, dass sie darauf verzichtet haben, das Stück, das im 8. Jahrhundert spielt und von Schubert 1823 (nach seinem ersten schweren Syphilis-Schub und parallel zur „Schönen Müllerin“) komponiert wurde, in unsere Gegenwart hinüberzuzerren. Immerhin, es geht um die westliche und die östliche Welt, ums Überleichengehen für die eigene, die richtige Weltanschauung: Hätte es da nicht nahe gelegen, im Heidenfürsten Boland etwa einen Verbündeten Saddam Husseins zu sehen, in der Figur Karls des Großen Mr. Bush und in Eginhard, dem Zarten, unseren Gerhard Schröder? Auch wenn diese Lösung so platt ist, wie sie sich liest: Unterhaltsamer und ästhetisch angemessener wäre sie zweifellos gewesen. Denn Schuberts Partitur bietet weder Dramatik noch Kontraste, sie geht kaum ins Detail und entwirft keine einzige wirklich plastische Figur.

Schubert nimmt das Kupelwiesersche Handlungsgestrüpp vielmehr zum Anlass für „Strophenlied“ oder „Melodram“ oder „Ensemble“ - und hält sich ansonsten nobel raus. Schubert schmiedet Klangmedaillons (die Lieder Eginhards etwa oder auch Florindas große Arie „Die Brust, gebeugt von Sorgen“ im zweiten Akt), er tagträumt und schlafwandelt so lange am Text entlang, bis die Musik endgültig jede Bühnenhaftung verliert. Dass aus diesem Autismus, aus dieser Mise-en-place eines Musiktheaters allerdings auch helle anti-wagnerianische Funken zu schlagen sind, das haben einst Claudio Abbado und Ruth Berghaus bewiesen, 1988 bei den Wiener Festwochen, mit einer hart in die Abstraktion und ins Zeichenhafte getriebenen Lesart.

Tilman Knabe aber will das Stück um jeden Preis ernst nehmen. Und Paolo Carignani am Pult des Frankfurter Museumsorchesters, das sich mal mehr nach Beethoven sehnt (das Trompetensignal!), mal mehr nach Webers „Freischütz“ und ansonsten eher uninspiriert seine Pflicht tut, konnte oder wollte ihn nicht daran hindern. Auch das sehr durchwachsene Frankfurter Sängerensemble (William Joyner in der Titelpartie, Juanita Lascarro als Emma, Michaela Schuster als Florinda, Shawn Mathey als Eginhard) beugt sich seinem Schicksal. Dieses lautet: Wir sprechen unsere mit Mikroports verstärkten Dialoge frontal in den Saal und spielen im Dunkeln Ritterturnier. Recken von links, Recken von rechts. Dazwischen Eginhard, der Jammerlappen, als Schuberts alter ego: Stets mit der Klampfe zugange oder einmal, in der Kerkerszene des dritten Aktes, sogar am Flügel und mit Männerchor-Verstärkung (Ironie? nackte Verzweiflung?). Wenn’s die Figuren aber ganz arg ankömmt, dann erstarren sie mit weit ausgestreckten Armen zu Kupferstichen, so genannten Tableaux vivants. Bilder, die man aus jeder Schubert-Monografie kennt. Ach ja. Der Krieg. Die Musik. Der Einfall. Die Frankfurter Oper sollte diesen Eröffnungs-Blackout ganz ganz schnell wieder vergessen. Und Tilman Knabe auch.

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