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Kultur: Krieg & Trauma

Berlinale-Siegerin Zbanic über ihren Bosnien-Film

Die bosnische Regisseurin Jasmila Zbanic wurde am Sonnabend im Berlinale-Palast für „Grbavica“ mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet: Ihr Debütfilm erzählt von einer Frau, die im Bosnienkrieg vergewaltigt wurde und ein Kind bekommt. Tsp

Frau Zbanic, kennen Sie Frauen, die im Bosnienkrieg vergewaltigt worden sind?

1992 kamen in Sarajevo mehrere Busse mit Frauen aus Ostbosnien an – sie waren über Tage und Monate vergewaltigt worden. In Sarajevo brachte man sie in meine eigene Grundschule in der Nähe meines Hauses. Mädchen von 14, 15, 17 Jahren. Ich war schockiert darüber, dass Sex als Waffe benutzt wurde. Als Teenager denkt man, Sex sei etwas Wunderbares, und muss dann erfahren, dass Sex eingesetzt wird als Waffe, um Frauen und damit eine ganze Nation zu demütigen. Meine eigene Tochter ist aus Liebe entstanden, sie kam 2000 zur Welt. Ich fragte mich, wie es wohl ist, ein Baby zu haben, das aus Hass entstand. So kam ich auf die Idee, diesen Film zu drehen: eine Geschichte über eine Mutter, die mit einem solchen Kind lebt, und über die Schwierigkeit, die Wahrheit zu sagen – oder sie zu verbergen.

Warum heißt Ihr Film „Grbavica“?

Grbavica ist ein Stadtteil von Sarajevo, der im Krieg von bosnisch-serbischen Truppen besetzt war. Während des Kriegs wurden hier viele Frauen in verschiedenen Arten von Gefängnissen – Supermärkten oder Wohnungen – festgehalten und vergewaltigt; sie waren oft über Monate eingesperrt, bis ihre Schwangerschaft so weit fortgeschritten war, dass sie nicht mehr abtreiben konnten. Dann wurden sie ausgetauscht gegen serbische Soldaten. Wie viele Kinder auf diese Weise geboren wurden, weiß niemand.

Sind die Vergewaltigungen in Bosnien und Herzegowina ein Tabu-Thema?

Nein. Die Mehrheit der im Krieg vergewaltigten Frauen sind Musliminnen, viele von ihnen traditionell und religiös. So war es sehr wichtig, dass der Reis, der höchste geistliche Würdenträger der Muslime, nach den Massenvergewaltigungen verkündete, dass die Frauen als „Sehids“ zu betrachten seien. Das Wort bezeichnet Kämpfer, die den Märtyrertod starben. So waren die Frauen auf dieser offiziellen Ebene akzeptiert und wurden nicht verurteilt. Oft wurden sie aber von ihren Familien aus Scham verstoßen. Deshalb sprachen viele Frauen nicht darüber, was ihnen zugestoßen ist.

Warum fällt es so schwer, die Kriegsvergangenheit hinter sich zu lassen?

Die Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic sind noch immer nicht verhaftet. Sie sind hauptverantwortlich für den Tod von 100 000 Menschen, für die Vergewaltigung von 20 000 Frauen und die Vertreibung von einer Million Menschen – und leben frei im Europa des 21. Jahrhunderts. Das heißt, man kann all das tun, ohne dafür wirklich bestraft zu werden. Erst wenn Karadzic und Mladic zu lebenslanger Haft verurteilt sind und wenn Slobodan Milosevic für den Rest seines Lebens im Gefängnis sitzt, erst dann können wir wirklich nach vorne schauen.

– Das Gespräch führte Norbert Rütsche.

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