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Kriege und Staaten: Die neue Weltunordnung

Hatte Huntington recht? Die Studie der Bertelsmann-Stiftung über kulturelle Konflikte greift zu kurz. Ein Bericht von Sicherheitsexperte Herfried Münkler.

Dass die Staaten nur noch eingeschränkt kriegführungsfähig sind, war für den kundigen Beobachter schon nach dem Ersten Weltkrieg, definitiv nach dem Zweiten Weltkrieg klar, was nicht hieß, dass sie keine Kriege mehr führten. Der Kalte Krieg war eine Konfrontation von Bündnissystemen, die durch gemeinsame Werte oder Ideologien zusammengehalten wurden und ihre Kriegführungsfähigkeit durch die Ausdehnung über mindestens zwei Kontinente sowie die Kontrolle der Weltmeere, des Luftraums und des Weltraums sicherstellten. Der im Europa der Frühen Neuzeit entstandene Territorialstaat, der sich völkerrechtlich zum legitimen Monopolisten der Kriegführung aufgeschwungen und das Kriegsgeschehen unter seine Kontrolle gebracht hatte, war dazu nicht mehr in der Lage.

Es gab also Anlass zu der Erwartung, dass mit dem Ende der Blockkonfrontation auch der Krieg verschwinden würde – zumal wenn man davon ausging, dass es sich bei den nach 1945 in der Dritten Welt geführten Kriegen um „Stellvertreterkriege“ handelte, die enden würden, sobald die Blöcke verschwunden oder von der Konfrontation zur Kooperation übergegangen waren. Es ist anders gekommen: Die Kriege sind nicht verschwunden, sondern außer Kontrolle geraten. Wie lässt sich das erklären? Und wo sind die neuen Konfliktlinien zu erkennen?

Zwei Erklärungsmodelle haben die Diskussion der neunziger Jahre geprägt: zum einen die These des amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel Huntington, wonach an die Stelle der politischen Blöcke Kulturen beziehungsweise Zivilisationen getreten seien, an deren Grenzen die zukünftigen Bruchlinien der politischen Ordnung lägen, und andererseits die Theorie einer Fragmentierung des Politischen, wonach es zu einer Re-Ethnisierung der Konflikte gekommen sei, bei der sprachliche, religiöse bzw. konfessionelle sowie erinnerungspolitische Gegensätze die Mobilisierungsgrundlage des Gewaltausbruchs seien. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kamen dann noch Theorien der Bevölkerungsentwicklung und einer Verselbstständigung der Kriegsökonomien im Gefolge der Globalisierung hinzu. Die Anschläge vom 11. September und die Politik der Bush-Administration ließen Huntingtons Erklärungsansatz ins Zentrum der Aufmerksamkeit treten.

Die Bertelsmann-Stiftung und das politikwissenschaftliche Institut der Universität Heidelberg haben nun Huntingtons Thesen auf den Prüfstand gestellt und sind auf der Basis einer quantitativen wie qualitativen Evaluation des Kriegsgeschehens nach 1945 zu dem Ergebnis gekommen, dass die meisten Konflikte und Kriege kulturell imprägniert seien, die Kultur aber weder als einziger noch als entscheidender Faktor für den Gewaltausbruch anzusehen sei. Erklärungskräftiger sei der von Gunnar Heinsohn ins Spiel gebrachte Ansatz, nach dem der Anteil der jungen Männer an einer Gesellschaft („youth bulge“) das kriegerische Potenzial beeinflusse. Im Übrigen, heißt es weiter, seien sprachliche Unterschiede in höherem Maße gewaltintensiv als religiöse Gegensätze. Generell lasse sich eine Beteiligung kultureller Faktoren sowohl an innergesellschaftlichen als auch an zwischenstaatlichen und transnationalen Gewaltkonflikten ausmachen.

Zu diesem Ergebnis hätte man freilich auch ohne aufwendige Untersuchung kommen können. Denn der Kernthese, dass kulturell-zivilisatorische Faktoren fast immer an Konflikten beteiligt, aber nicht ausschlaggebend sind, auch nicht beim Übergang vom Konflikt zum Krieg, wohnt ein Denkfehler inne. Offenkundig ist in der Fragestellung zu viel miteinander verbunden worden. Schon der Begriff des Kulturellen ist heikel, denn was im Deutschen Kultur heißt, firmiert im Englischen oder Französischen als Zivilisation. Huntington sprach vom „clash of civilizations“. Damit meinte er transnationale Konfliktlinien, mit denen er eine neue Welt(un)ordnung umreißen wollte, und nicht ethnische und sprachliche Gegensätze. Indem in der Bertelsmann-Studie die Makro- und die Mikroebene mithilfe des Kulturbegriffs vermischt worden sind, ist alles zum kulturellen Konflikt geworden. Die Folge sind notorisch schwammige Aussagen.

Auch wenn man den Thesen Huntingtons skeptisch gegenübersteht, sind sie doch durch diese Untersuchung nicht erledigt, wie die publizistische Resonanz auf die Studie nahezulegen scheint. Was Huntington vor Augen hatte, war die Bildung neuer Machtblöcke, die nicht durch politische Ideologien, sondern zivilisatorische Gemeinsamkeiten zusammengehalten würden. In ihnen sah er die Akteure der neuen Weltordnung. Sie würden die Definitionsmacht über das Konfliktgeschehen bekommen, es zu Kriegen aufladen oder aber dämpfen. Ob das zutrifft oder nicht, ist kaum durch ein Auszählen der tatsächlichen Kriege und Konflikte herauszufinden.

Generell aber gilt: Wenn, wie jüngst erlebt, die Ökonomie unser Schicksal ist, so gilt das auch für Konflikte und Kriege. Deren wirtschaftliche Voraussetzungen und globale Verflechtungen zu analysieren dürfte aufschlussreicher sein als mit einem Kulturbegriff zu hantieren, der mehr einem Pudding als einem wissenschaftlichen Werkzeug gleicht.

- Der Autor ist Politikwisschenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität und hat Bücher über „Imperien“ und „Die neuen Kriege“ geschrieben. Zuletzt erschien von ihm: „Die Deutschen und ihre Mythen“ (Rowohlt Berlin).

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