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Kultur: „Krieger kämpfen nicht, sie morden“

Der amerikanische Schriftsteller und Ex-Flieger James Salter über Helden, Versagensängste und Drill

Mister Salter, Sie tragen ja Ihren Siegelring gar nicht?

Sie meinen den Jahrgangsring aus West Point? Er ist wie der Schlips einer Schuluniform. Man trägt ihn nicht mehr, wenn der Ehrgeiz der Jugend von einem abfällt. Warum fragen Sie?

Um zu erfahren, ob man mit Ihnen über Helden sprechen kann…

Ich hoffe, Sie halten nicht mich für einen.

In diesen Tagen wurde in Erinnerung an das Kriegsende vor 60 Jahren viel von Helden gesprochen. Sie waren 1945 in West Point, der amerikanischen Heldenschmiede schlechthin. Wie stark hat Sie das geprägt?

Heldenschmiede – ich weiß nicht. Wenn ich zu einer neuen Einheit versetzt wurde und es hieß, da käme ein Westpointer, spürte ich zwar den Respekt und die Erwartung, aber Napoleon pflegte zu sagen, dass jeder Soldat „einen Marschallstab im Tornister“ trage. So ist es auch mit Helden. Man weiß nie, wer einer wird und unter welchen Umständen. Eine Primärtugend des Soldaten ist gewiss der Mut, aber auch Intelligenz, Ausdauer. Eigenschaften, die auf Militärakademien wie West Point trainiert werden.

Haben Sie die Ausbildung zum Offizier je abschütteln können?

Sie sollten meine Frau fragen, wie viel Drill noch in mir steckt. Ein Jahr unter diesem unnachgiebigen Regime hinterlässt etwas, das man nur schwer wieder loswird. Sie tun ihr Bestes, um es unauslöschlich werden zu lassen.

Waren Sie enttäuscht, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, bevor sie mit der Ausbildung fertig waren?

Natürlich. Erstens wussten wir nicht, was der Krieg wirklich war, und betrachteten ihn mit sorgloser Arroganz. Zweitens wegen der Karriere. Plötzlich waren wir benachteiligt gegenüber all den jungen Offizieren, die gekämpft hatten. Wir haben die Geschichten der Kriegsveteranen begierig aufgesogen. Solche, die wahr waren, und auch solche, bei denen das keine Rolle spielte. Wenn ein Krieg ausbricht ist das Klima, alles um einen herum so sehr von Macht erfüllt, dass man davon emporgeschwemmt wird. Das ist keine Mob-Psychologie, kein Wahnsinn. Alles, was man hört, alles Verehrungswürdige und Erstrebenswerte scheint sich im Krieg zu erfüllen.

Sie wurden Kampfpilot im Korea-Krieg, zu einer Zeit, als der Luftkampf noch einmal kurz die Form eines ritterlichen Duells annahm. In Ihren Büchern haben Sie diese Erfahrung immer wieder beschrieben.

Da haben Sie wahrscheinlich recht. Ich tendiere dazu, die Dinge unter Gesichtspunkten wie Fairness, Ehre, Ritterlichkeit zu bewerten. Aber ich weiß nicht, warum ich mich dafür entschuldigen sollte. Diese Ära des Luftkampfs, bei dem Düsenjäger-Piloten einander einzeln oder paarweise bekämpften, ist unwiederbringlich vorüber. Aber hier unten, am Boden, sind solche Tugenden noch immer lebendig.

Meinen Sie die US-Soldaten, die heute im Irak und andernorts einen vollkommen anderen Krieg führen?

Das einen Krieg zu nennen wie die Politiker, korrumpiert die Sprache. Ich würde, was im Irak geschieht, eher eine Kampagne nennen. Sie ist in ihren Ausmaßen begrenzt, in allem sehr limitiert, außer in den Kosten, die sie verursacht. George W. Bush bezeichnet sich zwar als „War Time President“, aber das ist geschmacklos. Er und Dick Cheney flohen einst vor dem Krieg, keiner von beiden diente, keiner von beiden erachtete es für wichtig genug zu kämpfen. Es ist eine widerliche Selbstüberhöhung, dass sie sich nun den Mantel des Kriegers umhängen.

Bush trat in der Uniform des Fliegers vor die Weltöffentlichkeit, als er den Irak- Krieg für beendet erklärte. Hat Sie das geärgert?

Das stört mich nicht. Er war ja in der National Guard zum Piloten ausgebildet worden. Was mich viel mehr bedrückt, ist die Angst, dass all die gutwilligen Anstrengungen amerikanischer Soldaten im Irak sich am Ende als wirkungslos erweisen könnten. Der ganze Einsatz – für nichts. Das ist es auch, was sich als Schatten über den Vietnam-Krieg gelegt hat. Die Soldaten kehrten mit dem Gefühl heim, dass alles umsonst gewesen war.

Macht sie das zu tragischen Helden?

Zu Verlierern, die eine romantische Aura des Ehrbaren umgibt.

Ihnen sind die schmutzigen Kriege erspart geblieben. War es Instinkt, dass Sie vor Ausbruch des Vietnam-Krieges ihre militärische Laufbahn beendeten?

Alles ist Zufall oder nichts. Da ich nicht glaube, dass nichts zufällig geschieht, muss es ein gewisses Maß an Vorsehung geben. Ich hatte eine Nichte, die mit zwölf von einem Auto erfasst und getötet wurde. Was ist das? Ich würde meinen: verdammtes Pech. Das Mädchen rannte ohne zu gucken über die Straße, der Fahrer war zu schnell, beides geschah im selben Moment. Ihr Leben ist zu Ende und ein Teil des Lebens ihrer Eltern ist mit ihr verschwunden. Das Glück war auf meiner Seite, dass ich nicht abgeschossen wurde.

Nicht auch Ihr Können?

Woher sollte ich wissen, auf wen ich in der Luft treffen würde? Man hält nicht Ausschau nach dem stärksten, schwierigsten Kontrahenten, sondern nach demjenigen, der nicht aufpasst und sich Fehler erlaubt. Fliegerasse trieben ihre Abschüsse oft dadurch in die Höhe, dass sie sich unterlegene Gegner heraussuchten. Antoine de St.-Exupery sagte: „Krieger kämpfen nicht, sie morden.“

Sie sind aus der Army ausgeschieden, um Schriftsteller zu werden. Ein außergewöhnlicher Schritt.

Es gibt andere Beispiele aus der Literaturgeschichte: Cervantes kämpfte in der Seeschlacht von Lepanto, bevor er Dichter wurde. Denken Sie an Ernst Jünger, Jon Dos Passos, Erich Maria Remarque, die alle die Schützengräben des Ersten Weltkriegs hinter sich hatten.

War der Künstler für Sie der größere Held?

Ich war mir der Großartigkeit des Schriftsteller-Daseins früh bewusst. St.-Exupery hatte ich in der Schule gelesen, auch Richard Hillarys Buch „Falling through Space“ hat mich tief bewegt, worin er beschreibt, wie er als RAF-Pilot über dem englischen Kanal aus seiner brennenden Maschine aussteigen musste, sein Cockpit-Dach ließ sich nicht öffnen, die Flammen schlugen an ihm hoch. Obwohl sein Gesicht Brandwunden aufwies, sah ich, wie sich die Kinder um ihn scharten. Für sie waren seine Narben wundervoll anzusehen. Ein Zeichen seines Muts. Ich wollte mich verbessern. Deshalb gab ich das Fliegen auf.

In Ihren Memoiren „Verbrannte Tage“ berichten Sie von dem deprimierendsten Moment ihres Lebens: der Mondlandung. Ihr Kumpel Aldrin hatte es geschafft. Fürchten Sie, sich an die falsche Sache verschwendet zu haben?

Es war ein Tag, der mich zwang, eine Bilanz zu ziehen. Ein trauriger Augenblick. Ich war mit Buzz Aldrin in derselben Staffel geflogen, wir hatten dieselben Lieder gesungen, noch heute treffe ich ihn gelegentlich. Aber unsere Welten drifteten damals weit auseinander. Seine und die Leistung von Neil Armstrong steht für eines der wenigen Ereignisse des Jahrhunderts, an das man sich erinnern wird.

Fragen Sie sich, wie weit Sie es hätten bringen können, wenn Sie in der Air Force geblieben wären?

Manchmal.

Und?

Drei Sterne.

Das Gespräch führte Kai Müller.

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