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Der Mob spricht. Angehörige der rechts-radikalen "Generation Identitaire" protestieren im Mai 2016 in Paris gegen Flüchtlinge.

© AFP

Krimi „Der Block“ von Jérôme Leroy: Die Zukunft wird mit Blut geschrieben

Unruhen, Straßenkämpfe und Krawalle: Der Schriftsteller Jérôme Leroy spielt in seinem Roman „Der Block“ die Möglichkeit eines rechten Wahlsieges in Frankreich durch.

Zwei Männer am Ende einer Nacht. Zwei, die eine lange, mit Blut geschriebene Geschichte verbindet. Stanko und Antoine. Beide haben den „Block“ stark gemacht, Stanko als Mann fürs Grobe, als Gründer einer paramilitärischen Kampftruppe, Antoine als Intellektueller und als Gefährte von Agnes, der Parteichefin. Der „Patriotische Block“ ist die rechtsextreme Partei, die in Frankreich nach Monaten der Unruhen, Straßenkämpfe und Krawalle kurz vor dem Eintritt in die Regierung steht.

In der Nacht verhandelt Agnes mit dem geschwächten französischen Präsidenten. Schließlich hat sie für den Block zehn Ministerposten herausgeholt. Antoine kann ein Regierungsamt übernehmen. Stanko, der Straßenkämpfer, wird sein Leben verlieren. Antoine liegt vor dem Fernseher, wartet und trinkt. „Ein rotes Rechteck oben in der linken Bildschirmecke zeigt nunmehr 752 Tote an. Die Zahl der Opfer seit Beginn der Unruhen.“

Groll auf die Wirklichkeit und Freude am Exzess

Wer eine Vorstellung von der Anziehungskraft des Front National in Frankreich bekommen will, sollte sich in die irritierende Lektüre dieses Buches stürzen, das mindestens so sehr Polit-Thriller ist wie Kriminalroman. Sein Autor Jérôme Leroy entwickelt zwischen den Lebensläufen von Stanko und Antoine den Aufstieg der Le-Pen-Partei zum radikalen Machtfaktor – auch wenn er im Nachwort zu diesem 2011 in Frankreich veröffentlichten Buch schreibt, es handle nicht von der „realen Realität“. Denn „in unserer Gesellschaft gibt es eine immer stärkere Tendenz, schon aus dem geringsten Anlass vor Gericht zu ziehen, und diese Tatsache wird einem Schriftsteller vom Verlag immer mal wieder in Erinnerung gerufen.“ Der 1964 geborene Autor – „Le bloc“ ist sein erster ins Deutsche übersetzter Roman – sieht in seinen beiden Protagonisten „zwei typische Vertreter des Front National“.

In der Nacht, in der Parteichefin Agnes den Block in die Regierungsmacht hineinverhandelt, blicken Stanko und Antoine zurück. Die beiden werden angetrieben von einem Groll auf die Wirklichkeit, von Testosteron und Freude am Exzess. Stanko, der Junge mit der Skinhead-Vergangenheit und dem auf den Rücken tätowierten Schwert, hat für den Block alles organisiert, was zur Einschüchterung politischer Gegner nötig ist. Zur interessanten Figur macht ihn die Herkunft: Der Vater verlor während der Stahlkrise als Gewerkschafter beim Konzern Usinor seine Arbeit. Stanko ging zum Militär – ein junger Mann, der sich für nichts zu schade war und über Vorurteile nicht lange nachdachte: soziologisch gesprochen ein Proletarier. Sein Leben ist der Preis, den Agnes für die Beteiligung an der Macht zu zahlen bereit ist. Einer von denen, die für die Regierung verhandeln, verlangt Stankos Ende, denn Stanko ist in einer Auseinandersetzung mit ihm zu weit gegangen, viel zu weit.

Die Vorstellung einer Zukunft, die keiner erleben will

Mit Antoine verbindet ihn die Überzeugung, dass radikale Politik radikale Maßnahmen erfordert. Antoine versteht das, was er tut, als Widerstand in einem Land, das von seiner politischen Klasse verraten worden ist. Antoine, der Bürgersohn, ist über die Provokation und den Tabubruch zum Block gekommen. Über ein Gefühl von Dekadenz, die das Land im Griff hat. Über einen Idealismus, gespeist durch die Lektüre rechter französischer Autoren. Und über einen Hang zur Gewalt, der schon seine Eltern befremdet hat.

Der Großvater war ein Patriot, einer, der Widerstand gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg gewagt hat. Antoine bekämpft – auch aus Freude am Kampf – das Establishment. Wie Stanko, der in einem heruntergekommenen Hotel auf den Morgen wartet und seinen Gedanken nachhängt, lässt Antoine in seiner teuren Wohnung die Erinnerungen an den Aufstieg des Blocks fließen, während er eine Flasche Wodka niedermacht. Leroy erzählt Stankos Geschichte aus der Ich-Perspektive, kapitelweise abwechselnd mit Antoine, der sein Leben aus der Du-Perspektive reflektiert: „Du fragst dich in dieser Nacht wirklich, was eher deinen Respekt oder dein Opfer verdient: eine Gesellschaft, in der neun von zehn Paaren, wenn sie aus dem Kino kommen, zuerst ihr Handy wieder einschalten, bevor sie miteinander sprechen oder eine Gesellschaft, in der eine junge, verschleierte Frau fähig ist, sich an einem Grenzposten selbst in die Luft zu jagen, im Namen ihres Volkes und ihres Glaubens?“ Gefährliche Gedanken in einer nicht ungefährlichen Zeit. Leroys packendes Buch versetzt seinen Leser in eine Zukunft, die er nicht erleben will.

Jérôme Leroy: Der Block. Kriminalroman. Aus dem Französischen von Cornelia Wend. Edition Nautilus, Hamburg 2017. 320 Seiten, 19,90 €.

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