zum Hauptinhalt

Kroatien: Weg mit den Giraffen

In diesen Tagen wurde in Kroatien die Wochenzeitung "Feral Tribune" eingestellt. Die Macher blieben bis zum letzten Moment bei ihrem frechen Geist.

Jeder denkt, in den sozialistischen Ländern sei es immer nur grob zugegangen, wenn ein Buch verboten, eine Theatervorstellung verhindert oder ein Blatt eingestellt wurde. Natürlich packte die Mächtigen eine besondere Nervosität, wenn jemand versuchte, sie durch den Kakao zu ziehen. So gerieten meistens Komödien oder Spottschriften in die Schusslinie, viel eher als gefährliche Traktate. Tito regte sich einmal fürchterlich auf, als ihn ein Maler neben Richard Burton, Liz Taylor und Giraffen aus seinem privaten Tiergarten auf der Insel Brioni zeigte. Dieser Burton, schön und gut, aber was sollen die Giraffen? Man erklärte, die Galerie, in der das besagte Gemälde gezeigt wurde, werde restauriert und müsse gestrichen werden, das neugierige Publikum könne nach Hause gehen.

Die Regierungen der sogenannten neuen Demokratien haben den Stil ihrer Vorgänger aus der Zeit der Diktatur und Unterdrückung geerbt – und mit ihm die Gekränktheit über Verhöhnung. In diesen Tagen wurde in Kroatien die Wochenzeitung „Feral Tribune“ eingestellt, vielleicht das einzige kroatische Blatt, das versuchte, die ganze Schwere der Probleme aufs Tapet zu bringen, und dies oft geistreich, mit Humor. Der „Feral“, umgangssprachlich für Lampe oder Leuchte, bezahlte, von den großen Anzeigenkunden ausgehungert, für seine scharfe Zunge und seine Wahrheitsliebe.

Die Kroaten sind ein großenteils bigottes, gottesfürchtiges Volk, nur alle fünfzig Jahre taucht dort ein geistreicher Schriftsteller auf, jetzt hatten sich diese Schriftsteller plötzlich irritierend vervielfacht, und das bei einer einzigen Zeitung. Die „Feral“-Macher blieben bis zum letzten Moment bei ihrem frechen Geist. Auf die erste Seite der letzten Nummer brachten sie Charlie Chaplin: Jeder wird sich erinnern, wie dieser kleine Recke mit einem weit gefährlicheren Diktator abgerechnet hat.

Auf den scheinbar lustigen Seiten des „Feral Tribune“ fand sich unter anderem ein Dossier über die Untaten des Regimes, unter dem das Blatt jahrelang herausgekommen war. So wurden geheime Schriften veröffentlicht, die unmissverständlich die dunklen Absprachen über die Zerstückelung Bosniens enthüllten, wie auch die noch dunkleren Geschäfte, die zur direkten Bereicherung der Machthaber führten. Manchmal wurde dies schlicht dadurch erreicht, dass man diesen Kreaturen den Spiegel vors Gesicht hielt. Daher war die meistgelesene und die von den Machthabern meistgehasste Rubrik des „Feral“ eine Sammlung von Zitaten aus ihren eigenen Reden und Erklärungen. Verständlich, dass dieser Teil der Zeitung hieß, wie er heißen musste: „Greatest Shits“. Weil hier die Moral dieser Gesellschaft in Frage gestellt wurde, ihre Engherzigkeit, ihre antieuropäische Haltung, ihr jämmerliches geistiges Niveau gegeißelt wurden. Was die Arbeit der „Feral“-Mitarbeiter risikoreich machte. Nicht nur einmal waren sie trotz aller internationalen Preise gerichtlicher Verfolgung, Geldstrafen, ja sogar unverhüllten Morddrohungen ausgesetzt.

Ich hoffe, die Nachricht, dass der „Feral“ sein Licht löschen musste, hat die Freigeister in Deutschland aufgeregt und verwundert. Weil das in ebenjenem Land geschieht, wo Leute, die der Kriegsverbrechen angeklagt sind, zu Helden hochstilisiert werden, wo man sich auf dem Hauptplatz in diesem Staat das Konzert des populären Sängers Thompson anhört, der die allzu geringe Effektivität der Konzentrationslager beklagt. Wo im Parlament ein Subjekt auf der Abgeordnetenbank sitzt, das verdächtigt wird, im letzten Krieg Verbrechen begangen zu haben, und wenn jemand darauf zu sprechen kommt, klagt der Herr Abgeordnete auch noch, dass ihm dadurch seelischer Schmerz zugefügt werde. Doch wundern Sie sich über nichts, meine Damen und Herren, in den neudemokratischen Ländern gibt es ebenfalls Machtmechanismen. Konsortien, Holdings und Interessengruppen, besonders im Bereich der Medien, sind manchmal mächtiger als früher ein Politbüro. Nebenbei, zum Trost: Es gibt unter den Kroaten weiterhin Menschen mit chaplineskem Geist.

Der Autor lebt als Schriftsteller in Berlin und war Kolumnist des „Feral Tribune“. – Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Grießhaber.

Bora Cosic

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false