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Kultur: Künstlers Himmelfahrt

Das Kölner Museum Ludwig sucht mit Salvador Dalí das Zentrum der Welt

Eigentlich sieht dieser Bahnhof ganz gewöhnlich aus, eben wie das französische Standardmodell, das überall im 19. Jahrhundert entstand, als Frankreich mit einem Schienennetz überzogen wurde: eine dreigeteilte Backsteinfassade mit neoklassizistischem Dekor, dazu Pilaster, Eckpfeiler, Rundbögen, um staatstragende Architektur zu signalisieren. Doch dieses Bauwerk ist nicht irgendeine SNCF-Station mitten in der Provinz, sondern der Mittelpunkt der Welt. Im südfranzösischen Perpignan unweit der spanischen Grenze, wo der Bahnhof steht, glaubt man fest daran, allein wegen dem Marketing. Eine gesunde Portion Größenwahn kommt gut an, das augenzwinkernde Einverständnis der Kundschaft eingeschlossen.

Salvador Dalí (1904 bis 1989) hat diese Methode zu seinem künstlerischen Prinzip erhoben. Von dem selbst ernannten Genie stammt auch die Idee, „das Zentrum der Welt“ in Perpignan zu lokalisieren, nachdem ihn am Abend des 19. Septembers 1963 auf dem Bahnhofsvorplatz die Eingebung überkam: „Ich kam auf dem Platz bei Sonnenuntergang an, in aller Herrlichkeit. Ein Licht von Feuersbrünsten, eigelb und goldrot, durchdrang das ganze Gebäude (…) als ich die Augen in diesem blendenden Feuer hob, sah ich, dass die elektrischen Fahrdrähte der Straßenbahn über dem Platz einen vollkommenen Kreis beschrieben,“ notierte er in sein Tagebuch und beschloss, die kosmologische Einzigartigkeit des Bahnhofs wissenschaftlich zu beweisen.

Von seinen Forschungsergebnissen ist wenig überliefert. Einzig ein Foto gibt es noch, das den Maestro einen Spazierstock schwenkend neben einem Monument für den Urmeter zeigt, der bei Perpignan errechnet wurde. Berühmtheit sollte Dalís Gemälde „La Gare de Perpignan“ gewinnen, das zwei Jahre nach seiner Vision entstand. Noch einmal 14 Jahre später erwarb der Aachener Sammler Peter Ludwig das monumentale Werk. 1990 überließ er es aus Anlass seines 65. Geburtstages endgültig dem Kölner Museum, das seinen Namen trägt. Noch einmal 17 Jahre später, zum 30-jährigen Jubiläum des Hauses, wird jene Ausstellung rund um das opus magnum des Surrealisten ausgerichtet, die damals vorgesehen war.

Auch auf Dalís Bild erglüht ein Licht von Feuerbrünsten, eigelb und goldrot. Aus dem Zentrum, das ein Malteserkreuz samt Strahlenstern markiert, darunter als Silhouette Christus am Kruzifix, saust der Künstler persönlich auf den Betrachter hernieder. Die Gleichsetzung mit dem Erlöser ist seit Dürer ein künstlerischer Topos; als Freud-Exeget empfand sich Dalí jedoch durch seinen Vornamen Salvador schicksalhaft mit dem Gottessohn verbunden. Fast detektivisch versucht die Kölner Ausstellung anhand zahlreicher Gemälde, Zeichnungen, Grafikzyklen das Traumbild zu entschlüsseln und verheddert sich doch in all den Motiven und Obsessionen. Das Ganze ist eben nicht nur die Summe von Einzelteilen. Das gilt auch für das additiv angelegte Meisterwerk, mit dem der 61-Jährige Bilanz zu ziehen sucht: rechts und links das von ihm häufig zitierte Bauernpaar aus Millets „Angelusläuten“, die Frau als Männer mordenden Gottesanbeterin, darüber der Güterzug als Hinweis auf den Bahnhof. Von Perpignan aus verschickte Gala, Muse und Managerin des Künstlers, seine Werke. Umgekehrt trafen hier ihre Besucher ein auf dem Weg nach Port Lligat, wo das Paar residierte.

Paul Eluard, Max Ernst, García Lorca, Luis Bunuel, Marcel Duchamp, Man Ray – sie alle passierten den Bahnhof von Perpignan und bilden ihrerseits Kreuzungspunkte mit dem Werk des Künstlers. Bei diesen großen Namen holen sich die Kuratoren Unterstützung für ihre Schau. Dalí allein ist zu wenig, auch wenn es gelang, wichtige Leihgaben seiner qualitätvollen Jahre, den Dreißigern, zu bekommen. Mit Dalí als Solist ist im seriösen Ausstellungsbetrieb nicht mehr zu punkten, mag er auch der Plakatindustrie die populärsten Motive liefern. Das zeigten schon die Jubiläumsausstellungen zum 100. Geburtstag, die in dem Vermarktungstalent einen Vorläufer Warhols zu entdecken und ihn dadurch für die Kunstgeschichte neu zu gewinnen suchten.

In ihrem Übereifer versetzen die Kölner dem Künstler jedoch selbst den Todesstoß. Als zusätzliches Jubiläumsgeschenk gaben sie eine Oper in Auftrag, die Dalí endgültig zur lächerlichen Figur macht. Marc-Aurel Floros komponierte eigens für die Ausstellung eine Kammeroper mit dem Titel „Gala Gala“, das Libretto schrieb Elke Heidenreich, Regie führt Ralph Goertz. Das knapp einstündige Werk, das musikalisch zwischen Prokofieff und Strawinsky rangiert, reduziert den Maestro auf eine Statistenrolle. Mit aufgerissenen Augen und Spazierstöckchen darf über die Bühne tänzeln und zwischendurch „Ich bin gegen die Technik und für den Traum!“ ausrufen. Stattdessen geht es um Gala (hervorragend: die Sopranistin Regina Richter) als geldgieriges Weib, die sich ihrer abgelegten Männer Paul Eluard und Max Ernst zu erwehren sucht. Das wird der komplexen Beziehung zwischen Dalí und seiner Muse, übrigens der Rückenfigur im „Bahnhof von Perpignan“ und damit Hauptbetrachterin des Werks, kaum gerecht und bietet selbst für eine Opern-Miniatur zu wenig Stoff.

Die beste Vorlage hatte der Künstler selbst geliefert mit seinem operettenhaften Einzug 1965 in Perpignan, nach Vollendung seines Werks. Ausstaffiert mit einer Admiralsuniform mit Goldknöpfen und Plastikepauletten ließ er sich samt Entourage huldvoll durch das Örtchen kutschieren, die Bewohner von Perpignan schwenkten Fähnchen. Ähnlich dürften sie schon Hannibal und Trajan auf ihrem Durchzug empfangen haben, diese antike Form von Größenwahn.

Museum Ludwig, Köln, bis 25. Juni; Katalog (Hatje Cantz) 37 €. Wiederaufführung der Oper am 6., 8., 21., 22. April.

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